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Aufgabe

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima (Abitur BY 2013 Ph12-2 A2)

Schwierigkeitsgrad: mittelschwere Aufgabe

In den Folgemonaten nach dem schweren Unfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima wurde unter anderem das Cäsium-Isotop \({}^{137}{\rm{Cs}}\) in die Umgebung freigesetzt, das eine Halbwertszeit von \(30\) Jahren besitzt.

Atommassen: \(m_{\rm{A}}\left({}^{137}{\rm{Cs}}\right)= 136{,}907090\,\rm{u}\); \(m_{\rm{A}}\left({137}{\rm{Ba}}\right)=136{,}905827\,\rm{u}\) (\(1\,\rm{u}=1{,}66054 \cdot 10^{-27}\,\rm{kg}\))

a)

Das Isotop \({}^{137}{\rm{Cs}}\) zerfällt in stabiles Barium \({}^{137}{\rm{Ba}}\).

Gib die Zerfallsgleichung an.

Berechne die bei einem Zerfall frei werdende Energie \(Q\). (5 BE)

b)

Erläutere die Vorgänge im Atomkern beim \(\beta^{-}\)-Zerfalls anhand einer schematischen Darstellung einer Potenzialtopfbesetzung des Kerns mit Protonen und Neutronen.

Hinweis: Der Bezug zu einem bestimmten Element ist nicht verlangt. (6 BE)

c)

Techniker, die nach dem Unfall Messungen in der Nähe des Kraftwerks vornahmen, waren \(\alpha\)-, \(\beta\)- und \(\gamma\)-Strahlung ausgesetzt.

Beurteile die Wirksamkeit der Schutzanzüge aus Kunststoff-Folie, die hierbei zum Einsatz kamen, in Hinblick auf diese drei Strahlungsarten. (5 BE)

d)

Gib drei allgemeine Strahlenschutzmaßnahmen an.

Diskutiere, inwiefern diese von den Technikern, die die Messungen am Kraftwerk vornahmen, eingehalten werden konnten. (6 BE)

Im Dorf Iitate nahe Fukushima wurde nach dem Unfall pro Quadratmeter Bodenoberfläche eine \({}^{137}{\rm{Cs}}\)-Aktivität von \(3{,}3\,\rm{MBq}\) gemessen. Die Bewohner wurden daraufhin evakuiert.

e)

Berechne die Äquivalentdosis, die eine Person der Masse \(75\,\rm{kg}\) in einem Jahr aufnehmen würde, falls sie pro Sekunde \(3{,}3\cdot 10^6\) \(\beta^{-}\)-Teilchen der mittleren kinetischen Energie \(190\,\rm{keV}\) absorbieren würde.

Vergleiche diese Dosis mit einer natürlichen Strahlenbelastung von \(2{,}4\,\rm{mSv}\) pro Jahr. (5 BE)

f)

Ab einer \({}^{137}{\rm{Cs}}\)-Aktivität von \(4{,}0\,\rm{kBq}\) pro Quadratmeter Bodenoberfläche wird die Wiederbesiedlung von Iitate durch die Behörden erlaubt.

Berechne, wie lange auf Grund der Aktivitätsabnahme durch den radioaktiven Zerfall bis zur Wiederbesiedlung gewartet werden müsste. (5 BE)

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Hinweis: Bei dieser Lösung von LEIFIphysik handelt es sich nicht um den amtlichen Lösungsvorschlag des bayr. Kultusministeriums.

a)

Die Zerfallsgleichung lautet\[_{55}^{137}{\rm{Cs}} \to _{56}^{137}{\rm{Ba}} + _{ - 1}^0{\rm{e}} + _0^0{\bar \nu}_{\rm{e}}\]Für die freiwerdende Energie \(Q\) ergibt sich\[\begin{eqnarray}Q &=& \Delta m \cdot {c^2}\\ &=& \left[ {{m_{\rm{A}}}\left( {_{55}^{137}{\rm{Cs}}} \right) - {m_{\rm{A}}}\left( {_{56}^{137}{\rm{Ba}}} \right)} \right] \cdot {c^2}\\ &=& \left[ {136{,}907090\,{\rm{u}} - 136{,}905827\,{\rm{u}}} \right] \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}001263 \cdot u \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}001263 \cdot 931{,}49\,{\rm{MeV}}\\ &=& 1{,}18\,{\rm{MeV}}\end{eqnarray}\]

b)
Joachim Herz Stiftung
Abb. 1 Potentialtopfmodell des Atomkerns

Nach dem Potentialtopfmodell des Atomkerns sind in dem räumlich begrenzten Kernpotential - ähnlich wie in der Atomhülle - nur diskrete Energiezustände der Nukleonen möglich. In einem durch einen Satz von Quantenzahlen charakterisierten Zustand darf sich nach dem PAULI-Prinzip jeweils nur ein Nukleon aufhalten.

Die höchsten noch besetzten Neutronen- und Protonenniveaus haben energetisch etwa den gleichen Wert. Die Energie des höchsten besetzten Zustandes nennt man FERMI-Energie. Die Niveaus liegen ca. \(8\,\rm{MeV}\) unter dem Nullniveau.

Die höchsten noch besetzten Neutronen- und Protonenniveaus müssen etwa gleich sein, da der Kern ansonsten durch einen -Zerfall in einen energetisch günstigeren Zustand gelangt. Ist das Neutronenniveau deutlich höher als das Protonenniveau, wandeln sich Neutronen durch einen \(\beta^{-}\)-Zerfall in Protonen um (und "wandern" vom Neutronen- in den Protonentopf). Dies ist beim \(_{55}^{137}{\rm{Cs}}\) der Fall. Die frei werdende Energie verteilt sich auf die drei Partner \(_{56}^{137}{\rm{Ba}}\), \(_{ - 1}^0{\rm{e}}\) und \(_0^0{\bar \nu}_{\rm{e}}\).

 

c)

Alpha- und Betastrahlung besitzt eine kurze Reichweite und kann bereits durch Papier bzw. dünne Aluminiumfolien abgeschirmt werden. Gefährlich ist dagegen die Aufnahme von Alpha- oder Betastrahlern in den Körper (Inkorporation). Gegen beides sollte der Folienanzug schützen.

Gammastrahlung dagegen besitzt eine große Reichweite und kann nur durch dicke Bleiplatten abgeschirmt werden. Dagegen kann auch der Folienanzug nicht schützen.

d)

Die 5 "A"s des Strahlenschutzes sind

  • Abstand erhöhen: Die Techniker sollten sich möglichst weit von den Strahlenquellen entfernt aufhalten.
  • Aufenthaltsdauer verkürzen: Die Techniker sollten nur möglichst kurz in der Nähe der Strahlungsquellen arbeiten.
  • Aktivität vermindern: -
  • Abschirmung verstärken: Die Folienschutzanzüge können wie oben gesagt von Alpha- und Betastrahlung sowie vor der Inkorporation von Alpha- und Betastrahlern schützen; Gammastrahlung kann beim Arbeiten kaum sinnvoll abgeschirmt werden.
  • Aufnahme in den Körper vermeiden: Die Folienschutzanzüge können wie oben gesagt vor der Inkorporation von Alpha-, Beta- und Gammastrahlern schützen.
e)

Bei einer \({}^{137}{\rm{Cs}}\)-Aktivität von \(3{,}3\,\rm{MBq}\) und einer mittleren kinetischen Energie der \(\beta^{-}\)-Teilchen von \(190\,\rm{keV}\) wäre die pro Jahr (\(1\,\rm{a}=365 \cdot 24 \cdot 60 \cdot 60\,\rm{s}\)) aufgenommene Energie\[E = 3{,}3 \cdot 10^6\,\frac{1}{{\rm{s}}} \cdot 365 \cdot 24 \cdot 60 \cdot 60\,{\rm{s}} \cdot 190 \cdot10^3\,{\rm{eV}} = 2{,}0 \cdot 10^{19}\,{\rm{eV}} = 3{,}2\,{\rm{J}}\]Die jährliche Äquivalenzdosis mit dem Strahlungswichtungsfaktor \(w_{\rm{R}} = 1\) für Betastrahlung auf einen Körper der Masse \(75\,\rm{kg}\) beträgt dann\[H = 1 \cdot \frac{{3{,}2\,{\rm{J}}}}{{75\,{\rm{kg}}}} = 42\,{\rm{mSv}}\]Dies ist ungefähr das \(20\)-fache der natürlichen Strahlenbelastung von ca. \(2{,}1\,\frac{\rm{mSv}}{\rm{a}}\).

f)

Mit der Angegebenen Halbwertszeit von \(30\) Jahren ergibt sich mit der Formel für die Aktivität\[A \left(t\right)=A_0 \cdot e^{-\frac{\ln {\left(2\right)}}{T_{1/2}} \cdot t} \Leftrightarrow t=-\frac{T_{1/2}}{\ln\left(2\right)} \cdot \ln{\left( \frac{A \left(t\right)}{A_0} \right)}\]Einsetzen der gegebenen Werte liefert\[t =  - \frac{{30\,{\rm{a}}}}{{\ln \left( 2 \right)}} \cdot \ln \left( {\frac{{4{,}0 \cdot {{10}^3}\,{\rm{Bq}}}}{{3{,}3 \cdot {{10}^6}\,{\rm{Bq}}}}} \right) = 2{,}9 \cdot {10^2}\,{\rm{a}} = 2900\,{\rm{a}}\]

Grundwissen zu dieser Aufgabe

Kern-/Teilchenphysik

Kernspaltung und Kernfusion

Radioaktivität - Fortführung