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Ausblick

NEWTONs Herleitung des Gravitationsgesetzes

Vorbemerkungen

Während KEPLER und seine Vorläufer sich im Wesentlichen damit beschäftigten, wie sich ein Planet bewegt, ist NEWTON aufgrund seiner Axiome als erster in der Lage auch die Frage "warum sich ein Planet gerade so bewegt" anzugehen. NEWTON treibt also nicht nur Kinematik, sondern Dynamik.

Um die Gedankengänge NEWTONs nachvollziehen zu können, geht man in der Schule der Einfachheit halber davon aus, dass sich die Planeten auf Kreisbahnen bewegen. Nach dem zweiten KEPLERschen Gesetz (Flächensatz) folgt daraus, dass die Planeten eine gleichförmige Kreisbewegung ausführen.

Abhängigkeit der Gravitationskraft vom Abstand \(r\) - NEWTONs Kraftgesetz

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Abb. 1 Bewegung des Mondes um die Erde. Das Größenverhältnis und die Umlaufdauer in der Animation stimmen nicht mit den realen Zahlen überein. Bild der Erde von NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

NEWTON schreibt im Rückblick auf seine Entdeckung des Gravitationsgesetzes:

"Im selben Jahr (1666) begann ich darüber nachzudenken, ob die Schwerkraft bis zur Umlaufbahn des Mondes reicht. Nachdem ich herausgefunden hatte, wie die Kraft abzuschätzen ist, mit der eine in einer Kugel umlaufende Kugel auf die Kugel der Oberfläche drückt (wir würden sagen: Untersuchung der Kreisbewegung; Zentripetal und Zentrifugalkraft), leitete ich aus Keplers Regel, nach der sich die periodischen Zeiten der Planeten im Verhältnis drei zu zwei zum Abstand vom Mittelpunkt ihrer Umlaufbahn verhalten, ab, dass die Kräfte, die die Planeten in ihren Umlaufbahnen halten, dem Quadrat ihrer Abstände von jenen Zentren, um die sie laufen, reziprok sein müssen."

Wir zeigen hier die entsprechende Rechnung mit den von uns heute verwendeten Größen. Dazu betrachten wir die gleichförmige Kreisbewegung des Mondes mit der Masse \(m_{\rm{M}}\) um die Erde mit der Masse \(m_{\rm{E}}\) im Abstand \(r_{\rm{EM}}\). Hat der Mond die Winkelgeschwindigkeit \(\omega_{\rm{M}}\) bzw. die Umlaufdauer \(T_{\rm{M}}\), so wirkt die Kraft \(\vec F_{\rm{EM}}\) der Erde auf den Mond als Zentripetalkraft dieser Kreisbewegung. Somit ergibt sich mit der bekannten Formel für die Zentripetalkraft\[\begin{eqnarray}{F_{{\rm{EM}}}} &=& {F_{{\rm{ZP}}}}\\ &=& {m_{\rm{M}}} \cdot {r_{{\rm{EM}}}} \cdot {{\omega_{\rm{M}}}^2}\\ &=& {m_{\rm{M}}} \cdot {r_{{\rm{EM}}}} \cdot {\left( {\frac{{2 \cdot \pi }}{T_{\rm{M}}}} \right)^2}\\ &=& {m_{\rm{M}}} \cdot {r_{{\rm{EM}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{{T_{\rm{M}}}^2}}} \quad (1)\end{eqnarray}\]Über die Umlaufdauer \(T_{\rm{M}}\) wissen wir nun aus dem dritten KEPLERschen Gesetz mehr. Mit der Erde als Zentralkörper, der KEPLER-Konstanten \(C_{\rm{E}}\) und dem Mond als Trabanten lautet dieses Gesetz\[\frac{{{{T_{\rm{M}}}^2}}}{{r_{{\rm{EM}}}^3}} = {C_{\rm{E}}} \Leftrightarrow {{T_{\rm{M}}}^2} = {C_{\rm{E}}} \cdot r_{{\rm{EM}}}^3 \quad (2)\]Setzt man \((2)\) in \((1)\) ein, so erhält man\[{F_{{\rm{EM}}}} = {m_{\rm{M}}} \cdot {r_{{\rm{EM}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}} \cdot r_{{\rm{EM}}}^3}} = {m_{\rm{M}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\quad(3)\]Damit ist gezeigt, dass\[{F_{{\rm{EM}}}} \sim \frac{1}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\]

Die "irdische Physik" ist gleich der "Himmelsphysik" - NEWTONs Mondrechnung

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Abb. 2 Bewegung des Mondes um die Erde sowie die Bewegung eines Apfels auf der Erdoberfläche um . Das Größenverhältnis und die Umlaufdauer in der Animation stimmen nicht mit den realen Zahlen überein. Bild der Erde von NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

NEWTON schreibt weiter:

"Nun verglich ich anhand dessen die Kraft, die erforderlich ist, um den Mond in seiner Umlaufbahn zu halten, mit der Schwerkraft auf der Erdoberfläche und fand eine ziemlich genaue Entsprechung der beiden. All dies geschah in den beiden Pestjahren 1663 und 1666, denn in jenen Tagen stand ich in der Vollkraft meiner Jahre für die Erfindung und beschäftigte mich mehr als irgendwann seither mit Mathematik und Philosophie."

Wir zeigen hier wieder die entsprechende Rechnung mit den von uns heute verwendeten Größen. An dieser Stelle kommt nun der berühmte Apfel von NEWTON in's Spiel, dessen Fall zur Erde NEWTON mit dem Fall des Mondes auf seiner Kreisbahn vergleicht.

Das Ergebnis \((3)\), das NEWTON für die Bewegung des Mondes um die Erde hergeleitet hat, verallgemeinert er nun also auf alle Körper, auf die die Erde eine Kraft ausübt. Hat also ein Körper K die Masse \(m_{\rm{K}}\) und befindet er sich im Abstand \(r_{\rm{EK}}\) zur Erde, dann erfährt er eine Kraft vom Betrag\[{F_{{\rm{EK}}}} = {m_{\rm{K}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{{\rm{EK}}}^2}}\quad ({3^*})\]bzw. wegen \(a = \frac{F}{m}\) eine Beschleunigung\[{a_{\rm{K}}} = \frac{{{F_{{\rm{EK}}}}}}{{{m_{\rm{K}}}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{{\rm{EK}}}^2}}\quad(4)\]Das Beschleunigungsgesetz \((4)\) soll also für den Apfel auf der Erdoberfläche wie für den Mond auf seiner Umlaufbahn gültig sein. Dann ergibt sich für den Apfel im Abstand \(r_{\rm{E}}\) vom Erdmittelpunkt\[{a_{\rm{A}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{\rm{E}}^2}}\quad(5)\]und für den Mond im Abstand \(r_{\rm{EM}}\) von der Erde\[{a_{\rm{M}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{\rm{EM}}^2}}\quad(6)\]Nun weiß man seit der Antike aus astronomischen Berechnungen, dass der Abstand \(r_{\rm{EM}}=60 \cdot r_{\rm{E}}\) beträgt. Setzt man dies in Gleichung \((6)\) ein und behält Gleichung \((5)\) im Auge, so erhält man\[{a_{\rm{M}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{{\rm{EM}}}^2}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{{{\left( {60 \cdot {r_{\rm{E}}}} \right)}^2}}} = \frac{1}{{3600}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{1}{{r_{\rm{E}}^2}} = \frac{1}{{3600}} \cdot {a_{\rm{A}}}\quad(7)\]Nun kennen wir aber die Beschleunigung des Apfels auf der Erdoberfläche; diese beträgt bekanntlich \(a_{\rm{A}}=g=9{,}81\,\rm{\frac{m}{s^2}}\).1 Mit Gleichung \((7)\) ergibt sich dann für die Beschleunigung des Mondes\[{a_{\rm{M}}} = \frac{1}{{3600}} \cdot 9{,}81\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} = 2{,}7 \cdot {10^{ - 3}}\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\]Nun muss NEWTON nur noch überprüfen, ob der Mond wirklich diese Beschleunigung erfährt, und das gelingt ihm über die Berechnung der Zentripetalbeschleunigung, die der Mond auf seiner Kreisbahn um die Erde erfahren muss. Mit dem Bahnradius \(r_{\rm{EM}}=60 \cdot r_{\rm{E}}=60 \cdot {6{,}371 \cdot {{10}^6}\,{\rm{m}}}\) und der Umlaufzeit \({T_{\rm{M}}} = 27{,}3\,{\rm{d}} = 2{,}36 \cdot {10^6}\,{\rm{s}}\) erhalten wir\[{a_{{\rm{M;ZP}}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{T_{\rm{M}}^2}} \cdot {r_{{\rm{EM}}}} \Rightarrow {a_{{\rm{M}}{\rm{,ZP}}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{{\left( {2{,}36 \cdot {{10}^6}\,{\rm{s}}} \right)}^2}}} \cdot 60 \cdot 6{,}371 \cdot {10^6}\,{\rm{m}} = 2{,}7 \cdot {10^{ - 3}}\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\]Aufgrund dieser Übereinstimmung konnte NEWTON zeigen, dass kein Unterschied zwischen "irdischer Physik" und "Himmelsphysik" - so wie es seit ARISTOTELES gelehrt wurde - besteht.

1 Die Kreisbewegung des Apfels um den Erdmittelpunkt kann man an dieser Stelle vernachlässigen. Aus\[{a_{{\rm{ZP}}}} = {\omega ^2} \cdot r = {\left( {\frac{{2 \cdot \pi }}{T}} \right)^2} \cdot r = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{T^2}}} \cdot r\]ergibt sich mit \(r=r_{\rm{E}} = 6{,}371 \cdot {10^6}\,{\rm{m}}\) und \(T=T_{\rm{E}} =24\,\rm{h}=24 \cdot 3600\,\rm{s}=86400\,\rm{s}\)\[{a_{{\rm{ZP}}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{{\left( {86400\,{\rm{s}}} \right)}^2}}} \cdot 6{,}371 \cdot {10^6}\,{\rm{m}} = 0{,}03339\,\frac{\rm{m}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\]

Bestimmung der Gravitationskonstante

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Abb. 3 Bewegung des Mondes um die Erde. Das Größenverhältnis und die Umlaufdauer in der Animation stimmen nicht mit den realen Zahlen überein. Bild der Erde von NASA [Public domain], via Wikimedia Commons

Ist \({\vec F_{\rm{EM}}}\) die Kraft, die die Erde auf den Mond Sonne ausübt, \({\vec F_{\rm{ME}}}\) die Kraft, die der Mond auf die Erde ausübt und \({r_{{\rm{EM}}}}\) die Entfernung der Mittelpunkte von Erde und Mond, dann gilt nach dem dritten NEWTONschen Axiom ("actio gegengleich reactio")\[{{\vec F}_{\rm{EM}}} =  - {{\vec F}_{\rm{ME}}}\]bzw. für die Beträge\[{F_{\rm{EM}}} = {F_{\rm{ME}}}\quad(8)\]Mit Hilfe von Gleichung \((2^*)\) (Erde als Zentralkörper, Mond als Trabant) ergibt sich nun für \({F_{\rm{EM}}}\) mit \(C = {C_{\rm{E}}}\)\[{F_{\rm{EM}}} = \frac{{{m_{\rm{M}}}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\quad(9)\]bzw. für \({F_{\rm{ME}}}\) mit \(C = {C_{\rm{M}}}\) (Mond als Zentralkörper, Erde als Trabant)\[{F_{\rm{ME}}} = \frac{{{m_{\rm{E}}}}}{{{C_{\rm{M}}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\quad(10)\]Damit ergibt sich aus \((8)\)\[\begin{eqnarray}{F_{{\rm{EM}}}} &=& {F_{{\rm{ME}}}}\\\\ \Leftrightarrow \frac{{{m_{\rm{M}}}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}} &=& \frac{{{m_{\rm{E}}}}}{{{C_{\rm{M}}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\\\\ \Leftrightarrow \frac{{{m_{\rm{M}}}}}{{{C_{\rm{E}}}}} &=& \frac{{{m_{\rm{E}}}}}{{{C_{\rm{M}}}}}\\\\ \Leftrightarrow {m_{\rm{M}}} \cdot {C_{\rm{M}}} &=& {m_{\rm{E}}} \cdot {C_{\rm{E}}}\end{eqnarray}\]Hieraus sieht man, dass das Produkt aus der KEPLER-Konstanten \(C\) (drittes KEPLERsches Gesetz) und der zugehörigen Zentralmasse \(m\) offensichtlich stets konstant ist. Das Produkt \(m \cdot C\) ist für alle Körper gleich und stellt eine universelle Naturkonstante dar.

Erweitert man z.B. in Gleichung \((9)\) den Bruch auf der rechten Seite mit \({{m_{\rm{E}}}}\), so ergibt sich\[{F_{{\rm{EM}}}} = \frac{{{m_{\rm{M}}}}}{{{C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}} \cdot \frac{{{m_{\rm{E}}}}}{{{m_{\rm{E}}}}} = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{m_{\rm{E}}} \cdot {C_{\rm{E}}}}} \cdot \frac{{{m_{\rm{M}}} \cdot {m_{\rm{E}}}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\]Nach dem bisher Gesagten stellt der vordere Bruch eine Konstante dar, die man als die Gravitationskonstante \(G\) bezeichnet. Somit gilt\[{F_{{\rm{EM}}}} = G \cdot \frac{{{m_{\rm{M}}} \cdot {m_{\rm{E}}}}}{{r_{{\rm{EM}}}^2}}\]und losgelöst von Erde und Mond und verallgemeinert auf zwei Körper mit den Indizes \(1\) und \(2\)\[{F_{12}} = G \cdot \frac{{{m_1} \cdot {m_2}}}{{r_{12}^2}}\]Für die Gravitationskonstante \(G\) erhält man mit den Werten der Erde\[G = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{{m_{\rm{E}}} \cdot {C_{\rm{E}}}}} \Rightarrow G = \frac{{4 \cdot {\pi ^2}}}{{5,97 \cdot {{10}^{24}}{\rm{kg}} \cdot 9,83 \cdot {{10}^{ - 14}}\frac{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}{{{{\rm{m}}^{\rm{3}}}}}}} = 6{,}73 \cdot {10^{ - 11}}\frac{{{{\rm{m}}^{\rm{3}}}}}{{{\rm{kg}} \cdot {{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\]der Literaturwert beträgt\[G = 6{,}674 \cdot {10^{ - 11}}\frac{{{{\rm{m}}^{\rm{3}}}}}{{{\rm{kg}} \cdot {{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\]

Hinweise

  • Der Nachweis, dass die Himmelskörper bei diesen Rechnungen wie Massenpunkte behandelt werden dürfen, stammt ebenfalls von NEWTON.
  • Die Berechnung der Gravitationskonstante auf diesem Weg ist in der Praxis nicht möglich, da die Masse der Erde erst über die Gravitationskonstante bestimmt werden kann. Siehe dazu das CAVENDISH-Experiment mit der Gravitationsdrehwaage.