Abb. 1 zeigt dir die Schaltskizze des Aufbaus, mit dem im Versuch eine gedämpfte elektromagnetische Schwingung demonstriert werden kann. Die Schaltskizze zeigt folgende Bauteile:
- Eine elektrische Quelle mit der Nennspannung \(U_0\) zum Aufladen des Kondensators bei Versuchsbeginn.
- Einen Umschalter \(\rm{S}\), mit dem zwischen den zwei Stromkreisen gewechselt werden kann.
- Einen OHMschen Widerstand der Größe \(R\).
- Einen Kondensator der Kapazität \(C\).
- Eine Spule der Induktivität \(L\).
- Einen Strommesser für die Stromstärke \(I\).
- Vier Spannungsmesser für die Spannungen \(U_0\), \(U_R\), \(U_C\) und \(U_L\).
Die Versuchsergebnisse beim gedämpften elektromagnetischen Schwingkreis lassen vermuten, dass die zeitlichen Verläufe der Stromstärke \(I\), der Spannung \(U_C\) über dem Kondensator und der Spannung \(U_L\) über der Spule bei der gedämpften elektromagnetischen Schwingung durch trigonometrische Funktionen in Kombinaton mit einer Exponentialfunktion beschreiben werden können. Aus prinzipiellen Gründen kann diese Vermutung aber nicht experimentell, sondern nur durch theoretische Überlegungen bestätigt werden. Diese Überlegungen werden wir in diesem Artikel zeigen.
Um in den späteren Rechnungen keine Schwierigkeiten zu bekommen müssen wir uns zu Beginn sehr genau über die Polung der Messgeräte und damit die Vorzeichen von Stromstärke und Spannungen klar werden. Wir tun dies in zwei Schritten: Zuerst für den Aufladevorgang des Kondensators und darauf aufbauend für den Schwingvorgang.
Aufladen des Kondensators
Beim Aufladen des Kondensators befindet sich der Schalter \(\rm{S}\) in der linken Position, so dass wir die "große" Masche der Schaltung ("Auflademasche") betrachten müssen.
Die Polung der elektrischen Quelle mit dem "+"-Pol oben und dem "-"-Pol unten legt jetzt den Zählpfeil fest, der im Uhrzeigersinn dreht. Dies ist durch den grünen Zählpfeil in der Auflademasche gekennzeichnet.
Alle Messgeräte sind so geschaltet, dass der Zählpfeil von ihrem "+"-Pol zu ihrem "-"-Pol zeigt. Dies ist beim Strommesser und allen Spannungsmessern so gekennzeichnet.
Der Spannungsmesser über der elektrischen Quelle wird nun einen negativen Wert anzeigen (\(U_0<0\)), der Strommesser, die Spannungsmesser über dem Widerstand und dem Kondensator beim Aufladen jeweils positive Werte (\(I>0\) und \(U_C>0\)). Am Ende des Aufladevorgangs ergibt sich \(I=0\,\rm{A}\) und \(U_C=\left| {{U_0}} \right|\), auf der oberen Platte des Kondensators befindet sich die Ladung \(Q_0=+C \cdot \left| {{U_0}} \right|\).
Schwingvorgang
Beim Schwingen befindet sich der Schalter \(\rm{S}\) in der rechten Position, so dass wir nur die rechte Masche der Schaltung ("Schwingmasche") betrachten müssen.
Der Zählpfeil zeigt weiterhin im Uhrzeigersinn und zeigt bei allen Messgeräten von ihrem "+"-Pol zu ihrem "-"-Pol.
Zum Zeitpunkt \(t=0\,\rm{s}\) des Schwingvorgangs wird der Spannungsmesser über dem Kondensator den positiven Wert \(U_C\left(0\,\rm{s}\right)=\left| {{U_0}} \right|\) und der Strommesser den Wert \(I=0\,\rm{A}\) anzeigen, auf der oberen Platte des Kondensators befindet sich die Ladung \(Q_0=+C \cdot \left| {{U_0}} \right|\).
In der ersten Phase des Schwingvorgangs wird der Spannungsmesser über dem Kondensator weiterhin positive Werte anzeigen (\(U_C>0\)). Da der Strom aber zuerst einmal entgegen der Messrichtung fließen wird, werden der Strommesser und die Spannungsmesser über dem Widerstand und der Spule zuerst negative Werte anzeigen (\(I<0\), \(U_R<0\) und \(U_L<0\)).
Herleitung und Lösung der Schwingungsgleichung
Nach der KIRCHHOFF'schen Maschenregel gilt nun zu jedem Zeitpunkt \(t\) des Schwingvorgangs die Gleichung \[{U_R}(t) + {U_C}(t) + {U_L}(t) = 0\]Wenn wir die bekannten Zusammenhänge
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\({U_R}(t) = R \cdot I(t)\) (OHMsches Gesetz; \(I(t)\): Stärke des Stroms durch den Widerstand während des Schwingvorgangs)
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\({U_C}(t) = \frac{Q(t)}{C}\) (Kondensatorformel; \(Q(t)\): Ladung auf der oberen Platte des Kondensators während des Schwingvorgangs)
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\( {U_L}(t) = L \cdot \dot I(t)\) (Spulenformel; \(I(t)\): Stärke des Stroms durch die Spule während des Schwingvorgangs)
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\(I(t) = \dot Q(t)\) (Definition der elektrischen Stromstärke) und damit \(\dot I(t) = \ddot Q(t)\)
nutzen und in diese Gleichung einsetzen, so erhalten wir\[R \cdot \dot Q(t) + \frac{Q(t)}{C} + L \cdot \ddot Q(t) = 0\]Dividiert man beide Seiten dieser Gleichung durch \(L\) und vertauscht die Reihenfolge auf der linken Seite der Gleichung, so erhält man\[\ddot Q(t) + \frac{R}{L} \cdot \dot Q(t) + \frac{1}{L \cdot C}\cdot Q(t) = 0 \quad(*)\]Dies ist die homogene Differentialgleichung 2.Ordnung für die Ladung \(Q(t)\) auf der oberen Platte des Kondensators während des Schwingvorgangs. Zusätzlich muss die gesuchte Funktion \(Q(t)\) noch die beiden Anfangsbedingungen \(Q_0 = Q(0\,{\rm{s}}) = C \cdot \left| {{U_0}} \right|\) und \(I(0\,{\rm{s}})=\dot Q(0\,{\rm{s}})=0\) erfüllen.
Bemerkungen
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In der Gleichung \((*)\) kommt die Funktion \(Q(t)\) und mindestens eine ihrer Ableitungen (hier die 1, Ableitung \(\dot Q(t)\)) sowie die 2. Ableitung \(\ddot Q(t)\)) vor. Man nennt eine solche Gleichung Differentialgleichung. Da die höchste vorkommende Ableitung hier die 2. Ableitung ist, spricht man von einer Differentialgleichung 2. Ordnung. Schließlich ist die Differentialgleichung homogen, da in der Gleichung \((*)\) nur Summanden mit der Funktion \(Q(t)\) oder einer ihrer Ableitungen vorkommen.
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Das Finden von Lösungen von Differentialgleichungen gehört zur Hochschul-Mathematik. Wir sind bescheidener und zeigen in der ersten der folgenden Aufgaben lediglich, dass eine angegebene Funktion \(Q(t)\) die Differentialgleichung und ihre Anfangsbedingungen erfüllt.
Lösung der Differentialgleichung zur gedämpften elektromagnetischen Schwingung
Die Lösung der Differentialgleichung für die ungedämpfte, elektromagnetische Schwingung gehört meist nicht zum Pflichtpensum. Vielleicht interessiert Sie aber der etwas langwierige, rechnerische Weg.
Differentialgleichung:
\[L \cdot \ddot Q + \frac{Q}{C} + R \cdot \dot Q = 0 \quad(1)\]
Lösungsansatz:
\[Q(t) = \hat Q \cdot {e^{ - \delta \cdot t}} \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) \quad(2)\]
Differenzieren des Lösungsansatzes:
1. Ableitung:
\[\dot Q(t) = - \hat Q \cdot {e^{ - \delta \cdot t}}\left[ {\delta \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) + \omega \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)} \right]\]
2. Ableitung:
\[\ddot Q(t) = \hat Q \cdot {e^{ - \delta \cdot t}}\left[ {{\delta ^2} \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) + 2 \cdot \omega \cdot \delta \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right) - {\omega ^2} \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right)} \right]\]
Setzt man die beiden Ableitungen und den Lösungsansatz in die Differentialgleichung \((1)\) ein und sortiert nach Gliedern, welche den Sinus bzw. Kosinus enthalten, so erhält man
\[\hat Q \cdot {e^{ - \delta \cdot t}}\left[ {\left( {L \cdot {\delta ^2} - L \cdot {\omega ^2} - R \cdot \delta + \frac{1}{C}} \right) \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) + \left( {2 \cdot L \cdot \omega \cdot \delta - R \cdot \omega } \right)\sin \left( {\omega \cdot t} \right)} \right] = 0\]
Zunächst lässt sich diese Gleichung durch den von Null verschiedenen Faktor vor der Klammer kürzen:
\[\left( {L \cdot {\delta ^2} - L \cdot {\omega ^2} - R \cdot \delta + \frac{1}{C}} \right) \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) + \left( {2 \cdot L \cdot \omega \cdot \delta - R \cdot \omega } \right)\sin \left( {\omega \cdot t} \right) = 0\]
Die linke Seite der Gleichung ist dauerhaft nur Null, wenn die beiden Faktoren vor dem Kosinus und dem Sinus Null sind: Der Faktor beim Sinus wird Null, wenn
\[2 \cdot L \cdot \omega \cdot \delta - R \cdot \omega = 0 \Leftrightarrow \delta = \frac{R}{{2 \cdot L}}\]
Der Faktor beim Kosinus wird Null, wenn
\[L \cdot {\delta ^2} - L \cdot {\omega ^2} - R \cdot \delta + \frac{1}{C} = 0 \Leftrightarrow {\omega ^2} = {\delta ^2} - \frac{R}{L} \cdot \delta + \frac{1}{{L \cdot C}}\]
Mit der obigen Beziehung für \(\delta\) ergibt sich
\[{\omega ^2} = {\left( {\frac{R}{{2 \cdot L}}} \right)^2} - \frac{R}{L} \cdot \frac{R}{{2 \cdot L}} + \frac{1}{{L \cdot C}} = - \frac{{{R^2}}}{{4 \cdot {L^2}}} + \frac{1}{{L \cdot C}}\]
und schließlich
\[\omega = \sqrt {\frac{1}{{L \cdot C}} - \frac{{{R^2}}}{{4 \cdot {L^2}}}} \]