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Aufgabe

Versuch von Kirchner (Abitur BY 2022 Ph11-2 A1)

Schwierigkeitsgrad: mittelschwere Aufgabe

Joachim Herz Stiftung
Abb. 1 Versuchsaufbau

Dem Physiker Fritz Kirchner gelang es 1930, die spezifische Ladung von Elektronen über die Messung ihrer Geschwindigkeit zu bestimmen. In seinem Versuch (Anordnung s. Abb. 1) werden aus einer Glühkathode K Elektronen mit vernachlässigbarer Anfangsgeschwindigkeit freigesetzt und durch die Spannung \(U_{\rm{B}}\) beschleunigt, die zwischen Kathode K und Anode A anliegt. Durch eine kleine Öffnung in der Anode treten die Elektronen als gebündelter Strahl in einen zunächst feldfreien Raum ein, durchlaufen die beiden Kondensatoren C1 und C2 (Abstand \(L\)) und treffen anschließend auf einen Schirm S.

a)

Geben Sie die Polung von Kathode und Anode an und beschreiben Sie den Prozess der Freisetzung der Elektronen aus der Kathode. (4 BE)

b)

Leiten Sie unter der Annahme kleiner Beschleunigungsspannungen her, dass die Elektronen mit der Geschwindigkeit \(v_0=\sqrt{2\frac{e}{m}U_{\rm{B}}}\) in den feldfreien Raum eintreten. (4 BE)

Joachim Herz Stiftung
Abb. 2 Zeitlicher Verlauf der Spannung

An C1 und C2 liegt eine hochfrequente Wechselspannung \(U_{\rm{C}}\) an, deren zeitlicher Verlauf in Abb. 2 dargestellt ist.

c)

Bestimmen Sie aus dem Diagramm möglichst genau die Periodendauer \(T\) und die Frequenz \(f\) der Wechselspannung. (4 BE) [zur Kontrolle: \(f=24\,\rm{MHz}\)]

Vereinfachend wird für die Zeit, die ein Elektron zum Durchqueren des Kondensators C1 bzw. C2 benötigt, die jeweilige Kondensatorspannung als zeitlich konstant angenommen. Elektronen, die im Augenblick des Nulldurchgangs der Spannung \(U_{\rm{C}}\) den Kondensator C1 passieren, erfahren keine Richtungsänderung. Nur diese erreichen den Kondensator C2.

d)

Begründen Sie, dass die Elektronen genau dann unabgelenkt auf dem Schirm S auftreffen, wenn für die Zeit \(\Delta t\), die ein Elektron für die Strecke zwischen den Kondensatormitten benötigt, gilt: \(\Delta t=k\cdot \frac{T}{2}\quad(k=1, 2, 3, ...)\) (4 BE)

e)
Joachim Herz Stiftung
Abb. 3 Mögliche Schirmbilder

Entscheiden Sie begründet, welches Bild aus Abb. 3 auf dem Schirm S zu erwarten ist, wenn die Beziehung aus Teilaufgabe d) nicht erfüllt ist, die Elektronen aus dem Kondensator C2 aber noch austreten können.

f)

Erhöht man die Beschleunigungsspannung \(U_{\rm{B}}\) bei konstanter Frequenz \(f\) der Spannung \(U_{\rm{C}}\) von Null ausgehend so lange, bis letztmalig ein scharfer Leuchtfleck in der Mitte des Schirms auftritt, dann gilt für die Elektronengeschwindigkeit: \(v_0=2\cdot\frac{L}{T}\).
Begründen Sie diesen Sachverhalt und berechnen Sie \(v_0\) für \(L=50\,\rm{cm}\). (6 BE) [zur Kontrolle: \(v_0=2{,}4\cdot 10^7\,\rm{\frac{m}{s}}\)]

g)

Für die in Teilaufgabe f) bestimmte Elektronengeschwindigkeit tritt der scharfe Leuchtfleck letztmalig bei \(U_{\rm{B}}=1{,}6\,\rm{kV}\) auf.
Berechnen Sie damit die spezifische Ladung \(e/m\) der Elektronen. (4 BE)

h)

Kirchner nutzte zur Bestimmung der spezifischen Ladung von Elektronen ausschließlich die elektrische Kraft.
Erläutern Sie anhand einer beschrifteten Skizze ein anderes Experiment, in dem für denselben Zweck zusätzlich die Lorentzkraft genutzt wird. (7 BE)

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a)

An der Kathode muss der Minuspol, an der Anode der Pluspol angelegt sein, um die Kathode negativ, die Anode positiv zu laden. Der von der angelegten Heizspannung verursachte Stromfluss durch die Kathode erhitzt diese und bringt sie zum Glühen. Durch den sog. glühelektrischen Effekt (Edison-Effekt) treten Elektronen aus dem erhitzten Draht aus und gelangen in das Vakuum der evakuierten Glasröhre. Es entsteht eine Elektronenwolke aus freien Elektronen rund um die Kathode. Durch das E-Feld zwischen Kathode und Anode werden die Elektronen zur Anode hin beschleunigt.

b)

Bei vernachlässigbarer Anfangsgeschwindigkeit ist die kinetische Energie der Elektronen beim Eintritt in den feldfreien Raum gerade die Energie, die die Elektronen beim Durchlaufen des E-Feldes erhalten haben. Es gilt \(E_{\rm{el}}=E_{\rm{kin}}\). Bei geringer Beschleunigungsspannung ist klassische Rechnung erlaubt, also \[E_{\rm{el}}=E_{\rm{kin}}\Leftrightarrow e\cdot U_{\rm{B}}=\frac{1}{2}\cdot m\cdot v_0^2\]Auflösen nach der gesuchten Geschwindigkeit liefert \[v_0=\sqrt{2\cdot \frac{e}{m}\cdot B}\]

c)

Aus dem Diagramm kann die Periodendauer \(T\) abgelesen werden. Dies geht besonders exakt nach 6 Perioden, für die \(250\,\rm{ns}\) benötigt werden. Damit ist\[T=\frac{250\,\rm{ns}}{6}=42\,\rm{ns}\]Mit \(f=\frac{1}{T}\) folgt\[f=\frac{1}{42\cdot 10^{-9}\,\rm{s}}=23809524\,\rm{Hz}=24\,\rm{MHz}\]

d)

Die Elektronen passieren den Kondensator C1 gerade dann, wenn \(U_{\rm{C}}=0\) ist und werden somit nicht abgelenkt. Damit die Elektronen den Kondensator C2 ebenfalls unabgelenkt passieren können, müssen sie diesen erreichen wenn wiederum \(U_{\rm{C}}=0\) ist. Der zeitliche Abstand zwischen zwei Nulldurchgängen von \(U_{\rm{C}}\) ist \(\Delta t=\frac{T}{2}\) bzw. allgemein für einen beliebigen folgenden Nulldurchgang \(\Delta t=k\cdot \frac{T}{2}\). Die Flugzeit des Elektrons zwischen den Kondensatoren C1 und C2 muss also gerade dieser Zeit \(\Delta t\) entsprechen.

e)

Zu erwarten ist Bild 2. Nur Elektronen, die Kondensator C1 bei einem Nulldurchgang der Spannung passieren, erreichen C2. Für die Strecke \(L\) zwischen den Kondensatoren benötigen die Elektronen eine bestimmte feste Zeitspanne \(\Delta t\), da sich die Elektronen mit der festen Geschwindigkeit \(v_0\)  bewegen. Diese feste Zeitspanne ist jetzt gerade nicht mehr \(\frac{T}{2}\). Somit erreichen die Elektronen den Kondensator C2 zu einem Zeitpunkt \(t\), an dem für die Kondensatorspannung gilt \(U_{\rm{C}}(t)\neq 0\). Ob \(U_{\rm{C}}(t)<0\) oder \(U_{\rm{C}}(t)>0\) wird dabei nicht nur von der festen Größe \(\Delta t\) beeinflusst, sondern auch davon, ob sich die Wechselspannung beim Passieren von C1 gerade in einer aufsteigenden oder absteigenden Flanke befand. Da beide Fälle möglich sind, zeigen sich auf dem Schirm zwei Punkte in gleichem Abstand von der Mitte.

f)

Durch das Erhöhen der Beschleunigungsspannung \(U_{\rm{B}}\) nimmt die Geschwindigkeit \(v_0\) der Elektronen zu. Die Flugzeit \(\Delta t\) der Elektronen vom Kondensator C1 zum Kondensator C2 wird entsprechend immer geringer. Ein scharfer Leuchtflecks in der Mitte des Schirms tritt immer dann auf, wenn die Elektronen gerade nicht abgelenkt werden, beide Kondensatoren also bei \(U_{\rm{C}}=0\) durchlaufen. Dies ist letztmalig der Fall, wenn zwischen den Nulldurchgängen gerade eine halbe Periodendauer liegt. In dieser Zeit \(\frac{T}{2}\) müssen die Elektronen die Strecke \(L\) zurücklegen. Daher muss gelten\[L=\frac{T}{2}\cdot v_0\Rightarrow v_0=2\cdot\frac{L}{T}\]Einsetzen der Länge \(L=50\,\rm{cm}=0{,}5\,\rm{m}\) und der Periodendauer \(T=42\cdot 10^{-9}\,\rm{s}\) liefert\[v_0=2\cdot\frac{0{,}5\,\rm{m}}{42\cdot 10^{-9}\,\rm{s}}=2{,}4\cdot 10^7\,\rm{\frac{m}{s}}\]

g)

Für die Geschwindigkeit \(v_0\) der Elektronen gilt \[v_0=\sqrt{2\cdot \frac{e}{m}\cdot B}\]. Auflösen nach \(\frac{e}{m}\) führt zu\[\frac{e}{m}=\frac{v_0^2}{2\cdot U_{\rm{B}}}\]Einsetzen der gegebenen Wert ergibt\[\frac{e}{m}=\frac{\left(2{,}4\cdot 10^7\,\rm{\frac{m}{s}}\right)^2}{2\cdot 1600\,\rm{V}}=1{,}8\cdot 10^{11}\,\rm{\frac{C}{kg}}\]

h)
Joachim Herz Stiftung
Abb. 4 Aufbau Kathodenstrahlröhre im B-Feld

Die in Abb. 4 gezeigte Kathodenstrahlröhre im homogenen Magnetfeld eines Helmholtzspulenpaares kann ebenfalls zur Bestimmung von \(e/m\) genutzt werden. Die in der Elektronenkanone durch ein E-Feld auf \(v_0\) beschleunigten Elektronen werden durch die Lorentzkraft, die auf sie im homogenen Magnetfeld des Helmholtzspulenpaares wirkt, auf eine Kreisbahn gezwungen. Dabei ist die Lorentzkraft die notwendige Zentripetalkraft und es gilt \(e\cdot v_0\cdot B=m\frac{v_0^2}{r}\). Durch Messen des Radius \(r\) der Kreisbahn kann so bei bekanntem \(v_0\) die spezifische Elektronenladung \(e/m\) bestimmt werden.

Hinweis: Alternativ kann auch der Wiensche Geschwindigkeitsfilter beschrieben werden, in den Elektronen mit bekannter Geschwindigkeit gebracht werden.