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Ausblick

Phase change materials

Funktionelle Skikleidung durch Ausnutzung der Übergangswärmen

In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 1.2.2002 wird über eine neuartige Kleidung berichtet, bei der die Schmelzwärme und die Erstarrungswärme von Materialien zur Steigerung des Komforts eingesetzt wird.

Was im Weltall prima funktioniert, kommt jetzt auch dem Skifahrer zugute. Nicht, dass jemand jetzt denkt, monströse Astronauten-Anzüge seien der neueste Schrei auf der Piste. Aber eine speziell für die Raumfahrt entwickelte Technologie, die extreme Temperaturschwankungen ausgleicht und für ein dauerhaft komfortables Klima sorgt, optimiert auch manchen Skianzug. Welcher sportlich orientierte Skifahrer kennt diese Problematik nicht? Eine anspruchsvolle Abfahrt lässt den Körper transpirieren, doch bei der anschließenden Liftfahrt bergauf fröstelt man im kalten Schweiß. Mal schwitzen, mal frieren -genau dies verhindert das Weltraum- Material.

Elektronenmikroskopaufnahme der mikroskopischen PCM-Kapseln in einem Skianzug
"Phase Change Materials", abgekürzt PCM, nennt sich der in die Kleidung integrierte Spezialschaum: ein Material also, das seinen Aggregatzustand ändert. In den Skijacken stecken Millionen mikroskopisch kleiner PCM-Kapseln, die flüssig werden, sobald der schwitzende Körper sie erhitzt. Sie speichern diese Wärme zunächst. Sobald es kälter wird, kristallisieren sich die Kapseln und geben die dadurch entstehende Energie - wie eine Heizung - in Form von Wärme wieder ab. In der Sportbekleidungsbranche kommt dieses Material unter den Bezeichnungen "ComforTemp" und "Outlast" zum Einsatz.

Dichtes Schneetreiben, acht Grad minus. Ungemütliches Skiwetter am Brauneck bei Lenggries, aber umso bessere Bedingungen für den Materialtest. Schon nach den ersten Abfahrten stellt sich in den ausprobierten Skikleidungsstücken - der Jacke "Project 3000 M" von Schoeffel und dem Skianzug "Innotech" von Sunrise, beide ausgestattet mit dem ComforTemp-Material von Schoeller - ein wohliges Temperaturgefühl ein. Schwitzen? Nein, bloß leichtes Transpirieren. Man ahnt: Jetzt schmelzen die PCM-Kügelchen dahin. Wenig später, im Sessellift. Eisig pfeift der Wind, die Schneeflocken peitschen gegen die Nase. Normalerweise ein Augenblick zum Frösteln, doch siehe da: Die Weltraum-Kapseln spenden tatsächlich mollige Wärme. Im Tagesverlauf zeigt sich, dass das High-Tech-Material extreme Schwankungen - zu warm oder zu kalt - vermeidet und für ein angenehmes Körperklima sorgt.

Oft ist es notwendig, die Wärme zu regulieren, d.h. zu managen. Dabei können die Wärme- oder auch "Kälte"mengen verschiedene Prozesse wie z.B. Wärmespeicherung, Wärmeabtransport oder Wärmeübertragung durchlaufen. Die Optimierung der Wärmeströme kann dabei je nach Anwendung sehr unterschiedlichen Nutzen haben und auch insgesamt Energie sparen. Wie effizient dieses Wärmemanagement arbeitet, hängt entscheidend von der verwendeten Technologie der Wärmeübertragung bzw. -speicherung ab. Die o.g. Prozesse werden mit Hilfe von PHASE CHANGE MATERIALS (PCM) gegenüber herkömmlichen Techniken deutlich verbessert und in manchen Fällen überhaupt erst möglich gemacht.

Theorie
Jedes Material nimmt beim Erhitzen Energie(Wärme) auf und wird dabei immer wärmer. Diese Energie wird fühlbare (oder "sensible") Wärme genannt, da man die Energiezunahme direkt durch die Temperaturerhöhung spürt.
Schmilzt das Material, durchläuft es also einen Übergang von der flüssigen zur festen Phase, so wird am Schmelzpunkt von ihm sehr viel Wärme aufgenommen. Dabei erhöht sich die Temperatur so lange nicht, bis alles Material geschmolzen ist. Aus diesem Grunde wird die so in dem Material gespeicherte Energie als "latente "oder versteckte Wärme bezeichnet. Beim Erstarren gibt das Material die Schmelzwärme wieder ab.
Auch die Umkehrung dieses Prozesses ist nutzbar: Eine Flüssigkeit kann Kälte aufnehmen (d.h. Wärmeenergie abgeben) und beim Phasenübergang flüssig nach fest erstarren. In diesem Prozess wird die dafür notwendige Schmelzwärme abgegeben.
Bei der Erwärmung schmilzt es wieder und kühlt dabei seine Umgebung. Diese Form der Kältespeicherung wird bereits heute in Klimaanlagen für Bürogebäude eingesetzt.
Bei nur geringer Temperaturänderung können PCMs erheblich größere Wärmemengen aufnehmen als vergleichbare "sensible " Speichermedien: Das PCM 72 von Merck kann im Temperaturbereich von 70 °C bis 80 °C etwa viermal mehr Wärme aufnehmen als Wasser und über 10 mal mehr als Steine oder Ziegel. Die oben beschriebenen besonderen Eigenschaften lassen sich für zahlreiche Anwendungen nutzen, in denen das Wärmemanagement durch den Einsatz von PCMs gesteuert wird (siehe Kapitel "Anwendungsbeispiele "). Die Einsatzmöglichkeit eines PCMs werden dabei immer von seinem Schmelzpunkt bestimmt.

Was ist PCM chemisch?
Für die Speicherung und Wiederverwendung der latenten Wärme bieten sich insbesondere anorganische Salze bzw. Salzgemische und einige organische Substanzen wie z.B. Paraffine an. Um diese Substanzen einer technischen Nutzung zuzuführen, müssen sie folgende Kriterien erfüllen:

  • Das PCM muss den jeweilige Anwendung passenden Schmelzpunkt haben.
  • Das PCM sollte eine möglichst große spezifische Schmelzwärme besitzen.
  • Das PCM sollte eine möglichst große spezifische Wärmekapazität besitzen.
  • Das PCM sollte Wärme gut leiten (schnell aufnehmen und schnell abgeben).
  • Das PCM sollte beim Phasenübergang sein Volumen, bzw. seine Dichte möglichst wenig ändern.
  • Das PCM muss sowohl chemisch als auch physikalisch im Wärmeübertragungsprozess stabil bleiben.
  • Es sollte umweltverträglich und ungiftig sein.

Anwendungen


Automobil
BMW bietet in der 5er-Serie einen Latentwärmespeicher an.
Der Speicher ist in den Kühlwasserkreislauf eingebunden und wird mit Abwärme geladen, wenn der Motor auf Betriebstemperatur ist. Diese Wärme steht dann beim nächsten Kaltstart zum schnellen Aufheizen des Motors (Verbrauchsreduzierung) und der Fahrgastzelle (Komfort und Sicherheit) zur Verfügung. Durch gute Isolierung des Speichers hält er die Wärme bis zu zwei Tage bei –20 °C Außentemperatur.
Kleidung
Seit der Einführung wasserdichter und gleichzeitig atmungsaktiver Stoffe haben funktionelle Textilien immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ein neuer Ansatz, den Tragekomfort von Ski-Kleidung zu erhöhen, ist der Einsatz von PCM: Befindet sich das Kleidungsstück in Innenräumen oder ist der Träger aktiv, nimmt das PCM Wärme auf und kühlt damit den Sportler. In Ruhephasen (z.B. beim Anstehen am Ski-Lift) gibt das PCM die Wärme wieder ab und wärmt den Sportler.
Heizung
Solar-Anlagen erfordern eine Zwischenspeicherung der Wärme für Heizung oder Warmwasser-Bereitung. Latentwärmespeicherung benötigen geringeres Volumen als herkömmliche Wasser Speichern und haben einen höherer Wirkungsgrad aufgrund der geringerer Temperaturdifferenzen zwischen Be- und Entladen des Speichers.
Baumaterialien
Das Klima in Räumen sollte sich im Verlauf eines Tages möglichst wenig ändern. Aus diesem Grund sind Häuser mit dicken Wänden besonders komfortabel: Im Sommer kühl und im Winter warm. Um diesen Komfort auch im Leichtbau zu erreichen, kann man auf Baumaterialien zurückgreifen, die PCMs enthalten und dadurch die gleichen Eigenschaften wie massive Wände aufweisen. Durch die Aufnahme von Wärmespitzen (z.B. durch Sonneneinstrahlung) und verzögerte Abgabe in der Nacht, kann in vielen Fällen sogar auf eine Klimatisierung der Räume verzichtet werden.
Catering
Der Transport warmer Speisen erfordert eine Wärmequelle, da das Essen sonst nicht den Qualitätsansprüchen der Kundschaft entspricht. Nicht immer kann auf elektrische Heizsysteme zurückgegriffen werden, daher bieten sich PCMs als selbsttemperierende Heizelemente an. Der Schmelzpunkt des PCM definiert die Temperatur, auf der die Speisen gehalten werden. Optimal sind 80 –90 °C, damit das Essen nicht weiter gekocht wird, aber dennoch heiß bleibt. Das gleiche Prinzip kann natürlich bei entsprechender Wahl des PCM auch für den temperierten Transport von Medizin-Produkten angewendet werden.
Elektronik
Elektronische Bauteile sind empfindlich gegen Überhitzung, die sowohl Lebensdauer als auch Zuverlässigkeit der Bauteile beeinträchtigt. Meist werden zur Kühlung Wärmeleitbleche verwendet, deren Wirkung noch durch den Einsatz von Lüftern verbessert wird. Diese haben bewegliche Teile, die ausfallen können. Die Aufnahme von Wärmespitzen durch PCM hingegen ist zuverlässig, da keine Motoren oder Temperaturfühler erforderlich sind. Das PCM regeneriert sich zwischen den Wärmespitzen durch Abgabe der Wärme über die Kühlrippen. Dadurch benötigt man weniger Platz für die Kühlung und gewinnt an Zuverlässigkeit.