Direkt zum Inhalt

Grundwissen

Gigantische RYDBERG-Moleküle - Von der Theorie zum Experiment

Die gigantischen Rydberg-Moleküle sind dank einer neuartigen Bindungsart so groß wie kleine Viren und bestehen doch nur aus zwei Atomen. Im Jahr 2008 wurden sie erstmals von der Arbeitsgruppe von Prof. Pfau in Stuttgart nachgewiesen. Was ist das besondere an diesen Molekülen, wie entstehen sie und wie kam es zu ihrer Entdeckung?

Theoretische Grundlagen – eine Analogie

Das Besondere an Rydberg-Molekülen ist ihre gigantische Größe, die nur durch eine neue Bindungsart zustande kommen kann. Bei einer der „normalen“ Bindungen, der kovalenten Bindung, befinden sich zwei Atome sehr dicht beieinander und teilen sich zwei Elektronen. Eine Analogie, die ganz von den Atomen und Elektronen weg geht, aber anschaulich die Unterschiede der Bindung verbildlichen soll, sind Kinder, die gerne Bonbons essen. Will man eine kovalente Bindung in diesem Bild verdeutlichen, so kann man sich zwei Kinder vorstellen, die sehr nah beieinander stehen und sich beide an zwei Bonbons festhalten. Sie sind damit sehr stabil aneinander gebunden, mit einem Abstand der durch ihre Armlänge festgelegt ist.

Die Grundlage der neuartigen Bindungsart sind die nach dem schwedischen Physiker Johannes Robert RYDBERG (1854 - 1919) benannten „Rydberg-Atome“. Ein Rydberg-Atom hat ein hoch angeregtes Elektron, das nur noch schwach an den Rest des Atoms gebunden ist (siehe auch Aufgaben 1 und 2 bei LEIFIphysik). Auch wenn es nicht ganz korrekt ist, nutzen Wissenschaftler zur Veranschaulichung des Sachverhaltes gern das Planetenmodell der Atome. Dabei kann man sagen, dass sich das Elektron auf einer Bahn sehr weit entfernt vom Kern bewegt.

In die Analogie mit den Kindern übersetzt, kann man sich diese Atome folgendermaßen vorstellen: Eines der Kinder hat eine lange Schnur in der Hand, an die ein Bonbon gebunden ist. Damit es nicht den Boden berührt und um es nicht fallen zu lassen, dreht das Kind das Bonbon an der Schnur ganz schnell um sich herum.

Da andere Kinder auch Bonbons mögen, „lockt“ es damit ein Kind aus der Nähe an, das das Bonbon sieht und gerne haben möchte. Es wird durch das Bonbon „angezogen“ und bleibt in direkter Nähe zur Flugbahn des Bonbons stehen, so dass die Kinder durch das rotierende Bonbon an der Schnur „aneinander gebunden“ sind.

In der Welt der Atome wird ein zweites Atom durch das hoch angeregte Rydberg-Elektron polarisiert: Das Elektron ist so weit vom Atomrumpf des Rydberg-Atoms entfernt, dass es gerade noch gebunden ist, aber auf ein Nachbaratom wie ein ungebundenes isoliertes Elektron wirkt. Durch die Ladung des Elektrons wird die Elektronenhülle des Nachbaratoms im Grundzustand polarisiert, d.h. die Ladungsverteilung wird verschoben. Das Rydberg-Elektron ruft dadurch schwache elektrische Anziehungskräfte zwischen den beiden Atomen hervor, sodass ein Rydberg-Molekül aus zwei Atomen entsteht [3].

Quantenmechanisch bewegen sich die Elektronen in einem Atom allerdings nicht auf Kreisbahnen, sondern ihr Ort kann nicht genau berechnet werden. Stattdessen kann man nur Wahrscheinlichkeiten für ihren Aufenthaltsort angeben. Diese werden durch eine von Erwin SCHRÖDINGER (1887 - 1961) formulierte Gleichung, die sogenannte Schrödingergleichung, beschrieben.

Die Wellenfunktion trägt die Information über den wahrscheinlichen Aufenthaltsort des Elektrons. Vom Zentrum des Rydberg Atoms ausgehend, besitzt diese Verteilung abwechselnd Minima und Maxima, d.h. Bereiche von hoher und geringer Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons wechseln sich ab. Nur dort, wo das Elektron häufig zu finden ist, kann es das Nachbaratom festhalten und an das Rydberg-Atom binden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Veranschaulichung des Rydberg-Moleküls

Oben: Planetenmodell des Rydberg-Moleküls: Das Elektron des Rydberg-Atoms kreist auf einer hochangeregten Bahn und bindet dadurch das zweite Atom, das sich auf seiner Bahn befindet.

Unten: Wahrscheinlichkeitsverteilung des Rydberg-Atoms und das resultierende anziehende Potenzial des Moleküls. Zu erkennen sind die sich abwechselnden Minima und Maxima der Aufenthaltswahrscheinlichkeit.

(Grafik: Universität Stuttgart)

So wie die Entfernung der Kinder direkt durch die Länge der Schnur bestimmt wird, wird die Größe des Moleküls durch den Abstand des Rydberg-Elektrons vom Atomrumpf festgelegt. Damit führt diese neuartige Bindung zu viel größeren Molekülen, als es mit einer normalen Bindung möglich wäre: In der kovalenten Bindung haben die zwei Atome eines Moleküls einen Abstand von rund 0,1 Nanometer, die Atome der Rydberg-Moleküle jedoch sind bis zu 1000 Mal so weit entfernt, d.h. bis zu 100 nm. Damit sind die entstehenden Moleküle größer als ein kleines Virus und gigantisch im Vergleich zu über kovalente oder ionische Bindungen verknüpfte Atome.

In der Analogie mit den Kindern bedeutet das, dass die kovalente Bindung einen Abstand von ca. 1 Meter erlaubt (also ca. 2 Kinderarmlängen). Die Bindung durch das Bonbon an einer Schnur erlaubt jedoch einen Abstand von bis zu 1000 m. Anstatt direkt nebeneinander zu stehen, sind die Kinder dann einen Kilometer voneinander entfernt und doch kurzzeitig aneinander gebunden.

Chancen erkannt - Von der Vorhersage …

Um Rydberg-Moleküle zu erhalten, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. In der Analogie mit den Kindern kann man sich leicht klar machen, dass sich zum einen genügend Kinder in der Nähe des Kindes mit der Bonbonschnur befinden müssen, damit überhaupt eines von dem kreisenden Bonbon „angezogen“ werden kann. Zum anderen müssen die Kinder ruhig stehen, denn wenn sie alle wild umher rennen, hat das Bonbon einen viel zu kleinen Effekt auf die Kinder.

Genauso muss auch die Bewegung der Atome beschränkt sein. Da bei normaler Temperatur die Atome eines Gases wild durcheinander fliegen, werden durch sogenannte Laserkühlung und Verdampfungskühlung ultrakalte Gase erzeugt. Diese erfüllen die notwendigen Rahmenbedingungen: es herrscht eine hohe Dichte und die Bewegungen der Atome sind weitgehend eingefroren, so dass sich die Atome so wenig bewegen, dass ein Atom im Grundzustand durch das hoch angeregte Elektron des Rydberg-Atoms polarisiert und gebunden werden kann.

Ein interessanter Hinweis am Rande: Ultrakalte Gase wurden auch für den Nachweis von BOSE-EINSTEIN-Kondensaten (BEC) benötigt: Dabei wird eine Gaswolke von Atomen, für die die Bose-Einstein-Statistik gilt, sehr stark gekühlt und verdichtet, ohne dass die Atome einen Festkörper bilden. Die Atome haben dann sehr wenig Energie: Sie sind alle im sogenannten Grundzustand, d.h. einen Zustand mit weniger Energie können sie nicht einnehmen (in der Kinder-Analogie würden alle Kinder fast still stehen). Die Bose-Einstein-Kondensation eines schwach wechselwirkendes Systems von Bosonen wurde im Jahr 1995 für ein Gas aus Rubidiumatomen nachgewiesen, indem Methoden der Laserkühlung und der Verdampfungskühlung eines in einer magnetischen Falle eingeschlossenen Gases kombiniert wurden (bei der Verdampfungskühlung werden energiereiche Teilchen aus dem System genommen, wodurch das das verbleibende System eine geringere mittlere Energie hat.). Im Jahr 2001 bekamen Wolfgang Ketterle, E.A. Cornell and C.E. Wieman den Nobelpreis „für die Erzeugung der Bose-Einstein-Kondensation in verdünnten Gasen aus Alkaliatomen und für frühe grundsätzliche Studien über die Eigenschaften der Kondensate“.

Bereits im Jahr 2000 erkannte Prof. Greene von der Purdue University in West Lafayette, USA die besonderen Gegebenheiten, die sich durch die Realisierung so kalter Gase nun boten. Er stellte eine genaue Theorie auf, wie die neue Bindung und damit die Existenz von Rydberg-Molekülen realisiert werden könnte.

Diese Theorie, die er im Jahr 2000 mit den Koautoren Alan Dickinson und Hossein Sadeghpour veröffentlichte, baute auf Ideen von Enrico Fermi auf: Fermi hatte bereits im Jahr 1934 vorhergesagt, dass ein Atom, das das einsame Elektron eines Rydberg-Atoms „finden“ würde, mit diesem wechselwirken könnte. Doch Fermi hatte nie gedacht, dass diese Theorie in die Realität umgesetzt werden könnte.

Prof. Greene führte nun jedoch genaue Berechnungen durch, wie die Theorie mit den neu geschaffenen ultrakalten Gasen experimentell bewiesen werden könnte.

… zum experimentellen Nachweis

Im Jahre 2008 hat es die Arbeitsgruppe um Prof. Pfau in Stuttgart dann tatsächlich geschafft Rydberg-Moleküle experimentell nachzuweisen.

In ihrem Experiment kühlten die Physiker Rubidium-87-Atome bis auf eine Temperatur von fast minus 273,15 Grad Celsius (3,5 Millikelvin) ab. Daraufhin regten sie ein Elektron mit Laserlicht (480 und 780 Nanometer Wellenlänge) stark an [1]. In der Analogie mit den Kindern bedeutet das, dass die Kinder alle sehr langsam werden und das Bonbon eines Kindes an einer Schnur mit hoher Anstrengung weit nach außen geschleudert wird. Durch diese Anregung schufen sie ein Rydberg-Atom, an das nun durch elektrische Polarisation ein weiteres Rubidium-Atom im Grundzustand schwach binden konnte. Für kurze Lebenszeiten von nur wenigen Millionstel Sekunden bildet sich dadurch ein zweiatomiges Rydberg-Molekül mit einem Atomabstand von bis zu 100 Nanometern [1].

Durch das Rydberg-Atom können auf diese Weise auch noch weitere andere Atome angezogen werden, wodurch Moleküle aus drei (oder mehr) Atomen gebildet werden.

Weitere Entwicklung und Anwendungsmöglichkeiten

Die Eigenschaften der resultierenden Rydberg-Moleküle sind sehr ungewöhnlich und eröffnen die Möglichkeit chemische Reaktionen unter völlig neuen Bedingungen zu studieren. Durch die neuartige Bindung sind die Moleküle zwar einerseits extrem instabil und von bisher nur extrem kurzer Lebensdauer, andererseits sind sie jedoch auch extrem manipulierbar. Diese Eigenschaften können beispielsweise für die Entwicklung hochsensibler Sensoren genutzt werden, da schon die kleinsten Einflüsse von elektrischen oder magnetischen Feldern Änderungen der Bindung bewirken und damit die Moleküle beeinflussen.

Prof. Chris H. Greene

Für seine Forschung auf dem Gebiet der Ryberg-Moleküle erhielt Prof. Chris H. Greene, Distinguished Professor of Physics at Purdue University, West Lafayette, Indiana, USA, den „Hamburger Preis für theoretische Physik 2013“, der von der Joachim Herz Stiftung in Kooperation mit dem Hamburg Centre for Ultrafast Imaging vergeben wird. In diesem Video erfahrt ihr mehr über Prof. Greene und hier könnt ihr euch einen Vortrag von ihm zu den Rydberg-Molekülen ansehen (beide Videos sind auf Englisch).

Chris H. Greene wurde 1980 an der Universität von Chicago promoviert und war 1980/1981 Post-Doktorand an der Stanford University. Er ging dann an die Louisiana State University, erst als Assistant Professor, dann als Associate Professor und schließlich als Professor für Physik. In den Jahren 1989 bis 2012 war Chris Greene Professor und Fellow am JILA - Joint Institute for Laboratory Astrophysics, ein physikalisches Forschungsinstitut der University of Colorado in Boulder und des National Institute of Standards and Technology (NIST). Im Jahr 2012 wechselte er an den Fachbereich Physik der Purdue University.

Quellen

[1] Riesenmolekül so groß wie ein Virus, Jan Oliver Löfken, Wissenschaft aktuell 2009. Auf Welt der Physik: http://www.weltderphysik.de/gebiete/atome/nachrichten-atome-und-licht/2009/riesenmolekuel-so-gross-wie-ein-virus/
[2] Moleküle aus Rydberg-Atomen, Björn Butscher, Vera Bendkowsky, Tilman Pfau, Physik in unserer Zeit Volume 40, Issue 4, pages 173–174, Juli 2009
[3] http://www.rwscharf.homepage.t-online.de/faz09/faz0527.html