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Versuche

Myonenexperiment von ROSSI und HALL

Die Vorhersage der Zeitdilatation durch Einstein war in der Fachwelt zunächst sehr umstritten. Um diese Zeit (1905) konnte man noch nicht auf experimentelle Bestätigungen der theoretischen Vorhersagen hoffen. Erst im Jahre 1940 gelang Rossi und Hall der Nachweis der Zeitdilatation an Myonen.

Myonen entstehen in der oberen Erdatmosphäre durch den Aufprall kosmischer Strahlung auf Moleküle der oberen Luftschichten in ca. 10 km Höhe. Myonen sind negativ geladene Elementarteilchen - man spricht manchmal von schweren Elektronen (Ladung: -e; Masse: 207 Elektronenmassen) - die jedoch nicht stabil sind. Sie zerfallen mit einer Halbwertszeit von T1/2 = 1,52·10-6 s = 1,52 μs, was einer mittleren Lebensdauer von ca. 2,2 μs entspricht.

Nach einer Halbwertszeit sind im Schnitt von anfangs N Myonen noch N/2, nach zwei Halbwertszeiten noch N/4, nach drei Halbwertszeiten noch N/8 . . . Myonen unzerfallen. Eine große Zahl instabiler Teilchen stellt also eine Art "Uhr" dar, da die unzerfallene Zahl von Teilchen ein Maß für die abgelaufene Zeit ist.

Die durch kosmische Strahlung erzeugten Myonen zerfallen bereits zum Teil auf ihrem Weg zur Erdoberfläche in der Atmosphäre, d.h. die Myonenintensität nimmt vertikal, von oben nach unten, in unserer Atmosphäre ab. Da sich die Myonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegen, könnte man der Meinung sein, dass nach einer Höhendifferenz von
\[\Delta h \approx c  \cdot T_{1/2}    \Rightarrow   \Delta h \approx 3,0 \cdot 10^8 \cdot 1,5 \cdot 10^{-6}\frac{m}{s} \cdot s \approx 450m\]
die Intensität der unzerfallenen Myonen auf die Hälfte abgefallen ist. Zum Durchlaufen der Höhe der gesamten Atmosphäre (10 km) würden die Myonen - nach obiger Überlegung - eine Zeit von ca. 33 μs (10000 m : 3,0·108 m/s ≈ 33 μs) benötigen, was etwa 22 Halbwertszeiten entspricht. Dies bedeutet dass auf der Erdoberfläche kaum noch unzerfallene Myonen feststellbar wären.

Rossi und Hall stellten auf dem Gipfel des Mt. Washington in 1910 m Höhe die Myonenintensität mit einem Detektor fest und verglichen diese mit der Myonenintensität auf Meereshöhe. Auf dem Berg zählten sie 563 Myonen/Stunde und auf Meereshöhe wurden 408 Myonen/Stunde ermittelt. Innerhalb der gleichen Zeit (Zeitdauer für das Durchfliegen der Höhe von 1910 m) bleiben von 563 im ruhenden Laborsystem erzeugten Myonen aber nur 31 Myonen übrig.

Die Erklärung dafür, dass wir auf der Erdoberfläche mehr Myonen nachweisen können, als wir durch unseren "gesunden Menschenverstand" erwarten, liegt in der Zeitdilatation. Die bewegte Uhr im Myonensystem geht langsamer als die Uhr im Ruhesystem Erde. Dies soll in der folgenden Animation veranschaulicht werden.

Abb. 1 Relativistische Betrachtung der Lebensdauer von Myonen aus Sicht des Erdsystems

Die Erd-Uhr misst für den Weg des Myons durch die Atmosphäre etwa eine Zeit von \(33\,{\rm{\mu s}}\). Im System des Myons vergeht jedoch nur eine Zeit von ca. \(2\,{\rm{\mu s}}\). Dies erklärt, warum wir auf der Erde noch relativ viele Myonen nachweisen können.

Wenn du dich mit der Myonen-Thematik noch etwas intensiver beschäftigen willst, so kannst du die folgende Aufgabe lösen und noch eine andere Art der Betrachtung des Myonen-Experiments durchlesen. Diese Aufgabe setzt aber voraus, dass du die Seite "Zeitdilatation - quantitativ" gelesen hast.

Aufgabe

Bestimme aus den Daten der Animation in Abb. 1 die Geschwindigkeit der Myonen, welche am Rande der Erdatmosphäre entstehen.

Lösung

Für den Zusammenhang zwischen einer Zeitspanne im Ruhesystem der Myonen (gestrichene Größen) und im Erd-System gilt\[{\Delta t' = \Delta t \cdot \sqrt {1 - {{\left( {\frac{v}{c}} \right)}^2}}  \Rightarrow 1 - {{\left( {\frac{v}{c}} \right)}^2} = {{\left( {\frac{{\Delta t'}}{{\Delta t}}} \right)}^2} \Rightarrow \frac{v}{c} = \sqrt {1 - {{\left( {\frac{{\Delta t'}}{{\Delta t}}} \right)}^2}} }\]Einsetzen der gegebenen Werte liefert\[{\frac{v}{c} = \sqrt {1 - {{\left( {\frac{{2{,}00\,{\rm{\mu s}}}}{{33{,}0\,{\rm{\mu s}}}}} \right)}^2}} = 0{,}998 \Rightarrow v = 0{,}998 \cdot c}\]

Abb. 2 Relativistische Betrachtung der Flugstrecke von Myonen aus Sicht des Myonensystems

In den bisherigen Überlegungen wurde das Myonen-Experiment vom System Erde aus betrachtet:

Für Uhren im Erdsystem verstreicht zwischen der Entstehung der Myonen und deren Ankunft auf der Erdoberfläche die Zeit von ca. \(33\,{\rm{\mu s}}\). Im Ruhesystem der Myonen stellt man für diese Zeitspanne jedoch nur ca. \(2\,{\rm{\mu s}}\) fest, was durch das Phänomen Zeitdilatation der EINSTEINschen Theorie erklärt wird.

Wie ist jedoch der Vorgang zu beschreiben, wenn man sich in das Ruhesystem der Myonen versetzt?

In diesem System rast die Erde mit nahezu Lichtgeschwindigkeit auf das Myon zu. Aufgrund der Längenkontraktion (bewegt Maßstäbe erscheinen verkürzt) erscheint die Erde in ihrer Bewegungsrichtung auf das Myon zu abgeplattet, auch die Höhe der Erdatmosphäre erscheint verkürzt. Daher ist es möglich, dass Myonen innerhalb ihrer Lebensdauer, die im Bereich von \(2\,{\rm{\mu s}}\) liegt, die Erdoberfläche erreichen.