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Aufgabe

Das AEgIS-Experiment am CERN

Schwierigkeitsgrad: schwere Aufgabe

Hinweis: Diese Aufgabe und Lösung entstanden auf dem Materialworkshop des Netzwerk Teilchenwelt am CERN im April 2014.

Joachim Herz Stiftung
Abb. 1 Skizze zum AEgIS-Experiment

Seit vielen Jahrzehnten wird Antimaterie von Science-Fiction-Autoren zu vielfältigen Zwecken eingesetzt, vom Raumschiffantrieb bis zur Massenvernichtungswaffe. Weniger bekannt ist, dass echte Antimaterie in Form von Atomen aus Antiteilchen seit einigen Jahren im Labor erzeugt werden kann. Mehrere internationale Forschergruppen am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf stellen Antiwasserstoffatome her. Antiwasserstoff \(\overline {\rm{H}} \) besteht aus einem Antiproton im Kern und einem Positron in der Hülle und hat die Atommasse \({m_{\overline {\rm{H}} }} = 1{,}008 \cdot u\) mit \(u = 1{,}6605389 \cdot 10^{- 27}\,\rm{kg}\). Ziel der Forschungen ist es, einen möglichen Unterschied in den Eigenschaften von Materie und Antimaterie aufzuspüren, um so das beobachtete Ungleichgewicht zwischen diesen Materiearten im Universum zu erklären. Auf die Herstellung des Antiwasserstoffs und die Funktionsweise des Detektors soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

Im AEgIS-Experiment soll untersucht werden, ob sich Antimaterie im Gravitationsfeld genau so wie Materie verhält, genauer, ob sich der Ortsfaktor \(\bar g\) für Antimaterie vom Ortsfaktor \(g\) für Materie unterscheidet.

Hierzu wird Antiwasserstoff \(\overline {\rm{H}} \) mit einer Anfangsgeschwindigkeit von \(v_0 = 400\,\frac{\rm{m}}{\rm{s}}\) horizontal auf einen Detektor geschossen, der sich im Abstand \(L = 0{,}800\,\rm{m}\) von von der „Abwurfstelle“ befindet.

Ausführliche Informationen zum AEgIS-Experiment findet man auf der Website von AEgIS, auf Wikipedia sowie in zwei Publikationen von Alban Kellerbauer und Michael Doser.

a)

Berechne unter der Annahme, dass sich Antiwasserstoff im Gravitationsfeld genau so verhält wie Wasserstoff, um welche Strecke \(\Delta y\) das Antiwasserstoffatom bis zum Detektor fällt.

b)

Erläutere, durch welche Veränderungen der Versuchsbedingungen die Strecke \(\Delta y\) vergrößert werden könnte.

c)

Der Detektor ist in der Lage, unter bestimmten Bedingungen den Auftreffpunkt des Antiwasserstoffatoms auf \(0{,}2\,{\rm{\mu m}}\) genau zu messen.

Untersuche, mit welcher Genauigkeit im AEgIS-Experiment die Übereinstimmung von \(\bar g\) mit dem bekannten Wert von \(g\) bestimmt werden kann.

d)

Aufgrund der thermischen Bewegung haben die Antiwasserstoffatome im Mittel eine Geschwindigkeit \(\bar v\), so dass die Anfangsgeschwindigkeit \(v_0\) nicht für alle Atome gleich ist. Um diesen Effekt so klein wie möglich zu halten, wird der Antiwasserstoff auf eine Temperatur von \({T_{\overline {\rm{H}} }} = 100\,\,{\rm{mK}}\) abgekühlt.

Berechne mit Hilfe der Formel \(\frac{1}{2} \cdot {m_{\overline {\rm{H}} }} \cdot {\bar v^2} = \frac{1}{2} \cdot {k_{\rm{B}}} \cdot T\) mit \({k_{\rm{B}}} = 1{,}3806488 \cdot 10^{-23}\,\frac{\rm{J}}{\rm{K}}\) (BOLTZMANN-Konstante), wie groß die mittlere Geschwindigkeit \(\bar v\) im Experiment ist, und bestimme, um wie viel Prozent somit die Anfangsgeschwindigkeit \(v_0\) schwankt.

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a)

Wir legen den Ursprung des Koordinatensystems in die „Abwurfstelle“ und orientieren die y-Achse nach unten. Dann gilt für den waagerechten Wurf \[\left. {\begin{array}{*{20}{c}}{x(t) = {v_0} \cdot t}\\{y(t) = \frac{1}{2} \cdot g \cdot {t^2}}\end{array}} \right\} \Rightarrow y(x) = \frac{{g \cdot {x^2}}}{{2 \cdot {v_0}^2}}\]Die Strecke \(\Delta y\) ergibt sich dann durch \[\Delta y = y(L) = \frac{{g \cdot {L^2}}}{{2 \cdot {v_0}^2}} \Rightarrow \Delta y = \frac{{9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} \cdot {{\left( {0,800{\rm{m}}} \right)}^2}}}{{2 \cdot {{\left( {400\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}} \right)}^2}}} = 1,96 \cdot {10^{ - 5}}{\rm{m}} = 19,6{\rm{\mu m}}\]

b)

Anhand des Terms\[\Delta y = \frac{{g \cdot {L^2}}}{{2 \cdot {v_0}^2}}\]erkennt man, dass eine Vergrößerung der Strecke \(\Delta y\) zum einen durch eine Vergrößerung der Strecke \(L\) und zum anderen durch eine Verkleinerung der Anfangsgeschwindigkeit \({v_0}\) erreicht werden könnte.

c)

Eine Messgenauigkeit von \( \pm 0,2{\rm{\mu m}}\) bedeutet, dass im Experiment die Strecken \(\Delta {y_{\min }} = 19,6{\rm{\mu m}} - 0,2{\rm{\mu m}} = 19,4{\rm{\mu m}}\) und \(\Delta {y_{\max }} = 19,6{\rm{\mu m}} + 0,2{\rm{\mu m}} = 19,8{\rm{\mu m}}\) als Abweichungen gemessen werden könnten. Daraus ergibt sich mit\[\Delta y = \frac{{\bar g \cdot {L^2}}}{{2 \cdot {v_0}^2}} \Leftrightarrow \bar g = \frac{{2 \cdot \Delta y \cdot {v_0}^2}}{{{L^2}}}\]\[{\bar g_{\min }} = \frac{{2 \cdot 1,94 \cdot {{10}^{ - 5}}{\rm{m}} \cdot {{\left( {400\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}} \right)}^2}}}{{{{\left( {0,800{\rm{m}}} \right)}^2}}} = 9,70\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\] und analog \({\bar g_{\max }} = 9,90\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\).

Die prozentualen Abweichungen von \(\bar g\) von dem bekannten Wert von \(g = 9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\) betragen somit\[p\%  = \frac{{g - {{\bar g}_{\min }}}}{g} = \frac{{9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} - 9,70\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}}}{{9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}}} = 0,011 = 1,1\% \] bzw. \[p\%  = \frac{{{{\bar g}_{\max }} - g}}{g} = \frac{{9,90\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} - 9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}}}{{9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}}} = 0,009 = 0,9\% \] Somit könnte mit dem AEgIS-Experiment eine Abweichung von \(1\% \) von \(\bar g\) von \(g\) nachgewiesen werden.

d)

Durch Umstellen der angegebenen Formel erhält man\[\frac{1}{2} \cdot {m_{\overline {\rm{H}} }} \cdot {\bar v^2} = \frac{1}{2} \cdot {k_{\rm{B}}} \cdot T \Rightarrow \bar v = \sqrt {\frac{{{k_{\rm{B}}} \cdot T}}{{{m_{\overline {\rm{H}} }}}}} \] Einsetzen der gegebenen Werte liefert\[\bar v = \sqrt {\frac{{1,38 \cdot {{10}^{ - 23}}\frac{{\rm{J}}}{{\rm{K}}} \cdot 0,100{\rm{K}}}}{{1,008 \cdot 1,66 \cdot {{10}^{ - 27}}{\rm{kg}}}}}  = 28,7\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\] Die Anfangsgeschwindigkeiten \(v_0\) schwanken somit durch die thermische Bewegung der einzelnen Antiwasserstoffatome um\[p\%  = \frac{{28,7\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}}}{{400\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}}} = 0,072 = 7,2\% \]Bei der großen Zahl der auftreffenden Antiwasserstoffatome ergibt sich jedoch als Mittelwert wieder ein Wert von \(400\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\).

Grundwissen zu dieser Aufgabe

Mechanik

Waagerechter und schräger Wurf

Kern-/Teilchenphysik

Teilchenphysik

Atomphysik

BOHRsches Atommodell