Anfangsbedingungen \(y_0=0\) und \(v_0>0\)
Der Einfachheit halber beschreibt man in der Schule meist eine harmonische Schwingung, bei der sich der Körper zum Zeitpunkt \(t=0\) in der Ruhelage \(y_0=0\) befindet und sich mit einer Anfangsgeschwindigkeit \(v_0>0\) in Richtung der positiven Ortsachse bewegt.
Für diese Anfangsbedingungen hatten wir im letzten Abschnitt hergeleitet, dass die harmonische Schwingung durch das Zeit-Ort-Gesetz\[y(t) = \hat y \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)\]beschrieben wird. Bekanntlich ist die Zeit-Geschwindigkeit-Funktion \(v\left(t\right)\) die erste Ableitung der Zeit-Ort-Funktion \(y\left(t\right)\). Mit der Ableitungsregel für die Sinusfunktion und der Kettenregel erhalten wir dann das Zeit-Geschwindigkeit-Gesetz\[v(t) = \dot y(t) = \underbrace {\omega \cdot \hat y}_{\; = \;\hat v} \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) = \hat v \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right)\]Weiter ist die Zeit-Beschleunigung-Funktion die erste Ableitung der Zeit-Geschwindigkeit-Funktion und damit die zweite Ableitung der Zeit-Ort-Funktion. Mit der Ableitungsregel für die Cosinusfunktion und wiederum der Kettenregel erhalten wir dann das Zeit-Beschleunigung-Gesetz\[a(t) = \dot v(t) = - \underbrace {{\omega ^2} \cdot \hat y}_{\; = \;\hat a} \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right) = - \hat a \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)\]
Die drei Bewegungsgesetze der Harmonischen Schwingung lassen sich auch rein geometrisch herleiten. Dazu nutzen wir die Eigenschaft der Harmonischen Schwingung, mit einer gleichförmigen Kreisbewegung synchronisiert werden zu können.
Wir wollen zuerst (noch einmal) das Zeit-Ort-Gesetz herleiten.
In Abb. 1 kannst du ein rechtwinkliges Dreieck erkennen, mit dem wir arbeiten:
- Der Radiusvektor \(\vec r\) verläuft vom Kreismittelpunkt zum kreisenden Körper und hat die Länge \(|\vec r|= \hat y \quad (1)\).
- Die Projektion \(y(t)\) des Radiusvektors \(\vec r\) auf die \(y\)-Achse ist die Auslenkung des schwingenden Körpers zum Zeitpunkt \(t\).
- Der Winkel in der linken unteren Ecke des Dreiecks hat zum Zeitpunkt \(t\) die Weite \(\omega \cdot t\).
Nun bildet der Vektor \(\vec r\) die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks und die Projektion \(y(t)\) die Gegenkathete zum Winkel der Weite \(\omega \cdot t\). Dann liefert der Sinussatzes im rechtwinkligen Dreieck\[\sin\left(\omega \cdot t\right)=\frac{y\left(t\right)}{|\vec r|}\]Setzen wir nun \(|\vec r|= \hat y \;\; (1)\) in diese Gleichung ein und lösen nach \(y\left(t\right)\) auf, so erhalten wir\[y\left(t\right) = \hat y \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)\]Dies ist das Zeit-Ort-Gesetz der Harmonischen Schwingung für die Anfangsbedingungen \(y_0=0\) und \(v_0>0\).
Nun leiten wir das Zeit-Geschwindigkeit-Gesetz her. Dazu betrachten wir den Vektor \(\vec v\) der Bahngeschwindigkeit der synchronen gleichförmigen Kreisbewegung.
In Abb. 2 kannst du wieder ein rechtwinkliges Dreieck erkennen, mit dem wir arbeiten:
- Der Vektor \(\vec v\) der Bahngeschwindigkeit verläuft orthogonal zum Radiusvektor \(\vec r\)) und hat die Länge \(|\vec v|=\omega \cdot r = \omega \cdot \hat y \quad (2)\).
- Die Projektion \(v(t)\) des Vektors \(\vec v\) auf die \(y\)-Achse ist die Geschwindigkeit des schwingenden Körpers zum Zeitpunkt \(t\).
- Der Winkel in der rechten unteren Ecke des Dreiecks hat auch die Weite \(\omega \cdot t\).
Nun bildet der Vektor \(\vec v\) die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks und die Projektion \(v(t)\) die Ankathete zum Winkel der Weite \(\omega \cdot t\). Dann liefert der Cosinussatz im rechtwinkligen Dreieck\[\cos\left(\omega \cdot t\right)=\frac{v\left(t\right)}{|\vec v|}\]Setzen wir nun \(|\vec v|=\omega \cdot \hat y \;\;(2)\) in diese Gleichung ein und lösen nach \(v\left(t\right)\) auf, so erhalten wir\[v\left(t\right) = \omega \cdot \hat y \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right)\]Dies ist das Zeit-Geschwindigkeit-Gesetz der Harmonischen Schwingung für die Anfangsbedingungen \(y_0=0\) und \(v_0>0\).
Schließlich leiten wir das Zeit-Beschleunigung-Gesetz her. Dazu betrachten wir den Vektor \(\vec a\) der Zentripetalbeschleunigung der synchronen gleichförmigen Kreisbewegung.
In Abb. 3 kannst du wieder ein rechtwinkliges Dreieck erkennen, mit dem wir arbeiten:
- Der Vektor \(\vec a\) der Zentripetalbeschleunigung verläuft antiparallel zum Radiusvektor \(\vec r\) und hat die Länge \(|\vec a|=\omega^2 \cdot r = \omega^2 \cdot \hat y \quad (3)\).
- Die Projektion \(a(t)\) des Vektors \(\vec a\) auf die \(y\)-Achse ist die Beschleunigung des schwingenden Körpers zum Zeitpunkt \(t\).
- Der Winkel in der linkern unteren Ecke des Dreiecks hat auch die Weite \(\omega \cdot t\).
Nun bildet der Vektor \(\vec a\) die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks und die Projektion \(a(t)\) die Gegenkathete zum Winkel der Weite \(\omega \cdot t\). Dann liefert der Sinussatz im rechtwinkligen Dreieck\[\sin\left(\omega \cdot t\right)=\frac{a\left(t\right)}{|\vec a|}\]Setzen wir nun \(|\vec a|=\omega^2 \cdot \hat y \;\;(3)\) in diese Gleichung ein und lösen nach \(a\left(t\right)\) auf, so erhalten wir\[a\left(t\right) = \omega^2 \cdot \hat y \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)\]Wir müssen aber beachten, dass die Beschleunigung \(a(t)\) genau entgegengesetzt zur Auslenkung \(y(t)\) gerichtet ist und setzen deshalb ein negatives Vorzeichen vor die Beschleunigung. Damit erhalten wir\[a\left(t\right) = -\omega^2 \cdot \hat y \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)\]Dies ist das Zeit-Beschleunigung-Gesetz der Harmonischen Schwingung für die Anfangsbedingungen \(y_0=0\) und \(v_0>0\).
Anfangsbedingungen \(y_0>0\) und \(v_0=0\)
In der Praxis startet man harmonische Schwingungen aber meist dadurch, dass man den Körper zum Zeitpunkt \(t=0\) zu einem Ort \(y_0>0\) auslenkt und ihn dann aus der Ruhe (\(v_0=0\)) loslässt, so dass er sich in Richtung der Ruhelage in Bewegung setzt.
Für diese Anfangsbedingung erhalten wir das Zeit-Ort-Gesetz\[y(t) = \hat y \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right)\]und analog zu oben durch Ableiten das Zeit-Geschwindigkeit-Gesetz\[v(t) = \dot y(t) = - \underbrace {\omega \cdot \hat y}_{\; = \;\hat v} \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right) = -\hat v \cdot \sin \left( {\omega \cdot t} \right)\]und das Zeit-Beschleunigung-Gesetz\[a(t) = \dot v(t) = - \underbrace {{\omega ^2} \cdot \hat y}_{\; = \;\hat a} \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right) = - \hat a \cdot \cos \left( {\omega \cdot t} \right)\]
Graphische Darstellung der Bewegungsgesetze
Die graphische Darstellung dieser Bewegungsgesetze siehst du in der Animation in Abb. 1. In Ihr kannst du links oben zwischen den unterschiedlichen Anfangsbedingungen wählen. Auch die entsprechenden Anfangswerte kannst du mit den beiden Schiebereglern einstellen und die Veränderung der Graphen von \(y(t)\), \(v(t)\) und \(a(t)\) beobachten.
In Abb. 2 siehst du die Graphen von \(y(t)\), \(v(t)\) und \(a(t)\) für den Fall \(y(t)=\hat y \cdot \sin(\omega \cdot t)\) in einem einzigen Diagramm (1). Als Kreisfrequenz der harmonischen Schwingung haben wir \(\omega=\frac{1}{\rm{s}}\) gewählt, so dass die Periodendauer der Bewegung \(T=2 \,\pi\) beträgt.
Du kannst erkennen, dass das Zeit-Geschwindigkeit-Diagramm gegenüber dem Zeit-Ort-Diagramm genau um \(\frac{3}{2}\,\pi\) nach rechts verschoben ist. Das Zeit-Beschleunigung-Diagramm ist gegenüber dem Zeit-Ort-Diagramm um genau \(\pi\) nach rechts verschoben.
Diese Verschiebungen treten allgemein auf, unabhängig ob wir die Siunus- oder die Cosinusfunktion nutzen. Auch die Periodendauer \(T\) oder der Startzeitpunkt der harmonischen Schwingung spielen keine Rolle für diese Verschiebungen.
(1) Beachte, dass die vertikale Achse für die drei Größen \(y\), \(v\) und \(a\) unterschiedlich beschriftet und skaliert sein müsste. Aus Platzgründen haben wir überhaupt keine Beschriftung und Skalierung eingeführt.
Allgemeiner Fall mit beliebigen Anfangsbedingungen
Für den allgemeineren Fall, in dem der Körper zur Zeit \(t = 0\) sowohl bereits eine Auslenkung \(y_0 \ne 0\) und eine Anfangsgeschwindigkeit \(v_0 \ne 0\) besitzt, wird die Beschreibung etwas komplizierter. Hier musst du die Phasenverschiebung \(\varphi\) im Argument der Sinus- bzw. Kosinusfunktion in allen drei Gesetzmäßigkeiten berücksichtigen.
Zeit-Ort-Gesetz\[y(t) = \hat y \cdot \sin \left( {\omega \cdot t + \varphi } \right)\]Zeit-Geschwindigkeit-Gesetz\[v(t) = \dot y(t) = \hat y \cdot \omega \cdot \cos \left( {\omega \cdot t + \varphi } \right) = \hat v \cdot \cos \left( {\omega \cdot t + \varphi } \right)\]Zeit-Beschleunigung-Gesetz\[a(t) = \dot v(t) = \ddot y(t) = - \hat y \cdot {\omega ^2} \cdot \sin \left( {\omega \cdot t + \varphi } \right) = - \hat a \cdot \sin \left( {\omega \cdot t + \varphi } \right)\]
Mögliche Graphen von \(y(t)\), \(v(t)\) und \(a(t)\) für den Fall \(y(t)=\hat y \cdot \sin(\omega \cdot t + \varphi)\) in einem einzigen Diagramm (1) siehst du in Abb. 3.
(1) Beachte, dass die vertikale Achse für die drei Größen \(y\), \(v\) und \(a\) unterschiedlich beschriftet und skaliert sein müsste. Aus Platzgründen haben wir überhaupt keine Beschriftung und Skalierung eingeführt.