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Aufgabe

Raser auf der Autobahn

Schwierigkeitsgrad: schwere Aufgabe

Ein AUDI ‚verfolgt’ (!?) auf der Autobahn einen BMW, ein bekannter ‚Wettbewerb’ zwischen sogenannten ‚dynamischen’ oder ‚sportlichen’ Fahrern. Eine Messstelle der Polizei registrierte folgende Daten: Beide Fahrzeuge fuhren mit einer Geschwindigkeit von \(168\,\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}}\). Der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen betrug \(10{,}0\,\rm{m}\).

Gegen den erteilten Bußgeldbescheid erhob der AUDI-Fahrer Einspruch und begründete diesen unter Verweis auf Messreihen einer Auto-Zeitschrift. Daraus ergeben sich Bremsverzögerungen von \(a_{\rm{A}}=-9{,}13\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\) für den AUDI und von \(a_{\rm{B}}=-7{,}87\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\) für den BMW. Bei der Einschätzung der Dauer seiner ‚Schrecksekunde’ (dies ist die Zeit nach dem Bremsen des ersten Fahrzeugs, in der der Fahrer des zweiten Fahrzeugs ungebremst weiterfährt, bis er selbst reagiert und bremst) weist der AUDI-Fahrer auf sein konzentriertes Fahren hin und nimmt für seine weiteren Ausführungen einen Wert von \({t_{\rm{S}}} = 0{,}6\,{\rm{s}}\) an (Rechne mit \({t_{\rm{S}}} = 0{,}600\,{\rm{s}}\)).

Aus diesen Daten berechnet der AUDI-Fahrer die Anhaltewege der beiden Wagen: Für den AUDI einen Anhalteweg (einschließlich des während der ‚Schrecksekunde’ zurückgelegten Vorbremsweges) von \({s_{\rm{A}}} = 147\,{\rm{m}}\) und für den BMW einen Anhaltesweg von \({s_{\rm{B}}} = 139\,{\rm{m}}\). Er kommt aufgrund seiner Berechnung zu dem Schluss, dass der von ihm eingehaltene Sicherheitsabstand von \(10{,}0\,\rm{m}\) bei einer Vollbremsung ausgereicht hätte, da die Differenz der Anhaltewege kleiner als \(10{,}0\,\rm{m}\) ist.

Vor Gericht unterliegt der AUDI-Fahrer jedoch, und zwar nicht nur wegen der Vorgaben aus der StVO, sondern auch, weil ein Sachverständiger zweifelsfrei nachweist, dass die beiden Fahrzeuge im Fall einer Vollbremsung zusammengestoßen wären.

a)Stelle in einem Zeit-Geschwindigkeit-Diagramm die Bewegungen der beiden Fahrzeuge dar.

b)Bestätige anhand einer eigenen Rechnung, dass die Werte für die Anhaltewege der beiden Fahrzeuge, die der AUDI-Fahrer erhalten hat, korrekt sind.

c)Bestimme die Geschwindigkeiten, die die beiden Fahrzeuge am Ende der ‚Schrecksekunde’ noch haben.

d)Bestimme die Strecken, die die beiden Fahrzeuge jeweils während der ‚Schrecksekunde’ des AUDI-Fahrers zurückgelegt haben und damit ihren Abstand am Ende der ‚Schrecksekunde’.

e)Stelle nun beginnend mit dem Zeitpunkt am Ende der ‚Schrecksekunde’ und unter Benutzung der Ergebnisse aus c) und d) die zwei Zeit-Ort-Terme \({x_{\rm{A}}}(t)\) und \({x_{\rm{B}}}(t)\) zur Beschreibung der Bewegungen der beiden Fahrzeuge auf. Hierbei soll der Zeitpunkt \(t = 0\,{\rm{s}}\) am Ende der ‚Schrecksekunde’ des AUDI-Fahrers sein.

f)Bestimme mit Hilfe der Ergebnisse von Aufgabenteil e) den Zeitpunkt des Zusammenstoßes der beiden Fahrzeuge und bestätige damit die Aussage des Sachverständigen.

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Joachim Herz Stiftung
Abb. 1 Zeit-Geschwindigkeit-Diagramm für AUDI und BMW

a)Beide Graphen beginnen zum Zeitpunkt \(t=0\,\rm{s}\) mit der Geschwindigkeit \(v_0=168\,\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}} = 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\).

Die Geschwindigkeit des BMW wird direkt mit \(a_{\rm{B}}=-7{,}87\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\) kleiner, bis sie den Wert \(0\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\) erreicht (gleichmäßig verzögerte Bewegung).

Die Geschwindigkeit des AUDI bleibt während der ‚Schrecksekunde’ \({t_{\rm{S}}} = 0{,}600\,{\rm{s}}\) auf dem Wert \(v_0=46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\) (gleichförmige Bewegung) und wird ab dann mit \(a_{\rm{A}}=-9{,}13\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}\) kleiner, bis auch sie den Wert \(0\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\) erreicht (gleichmäßig verzögerte Bewegung).

b)Wir berechnen zuerst die Zeiten \(t_{\rm{A}}\) und \(t_{\rm{B}}\), die AUDI und BMW zum Abbremsen aus der Geschwindigkeit \(46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\) bis zum Stillstand (\(v=0\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\)) benötigen. Allgemein gilt (gleichmäßig verzögerte Bewegung)\[v(t) = a \cdot t + {v_0} \Leftrightarrow t = \frac{{v(t) - {v_0}}}{a}\]und damit\[{t_{\rm{B}}} = \frac{{0\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} - 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}}}{{ - 7{,}87\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}}} = 5{,}93\,{\rm{s}}\]sowie\[{t_{\rm{A}}} = \frac{{0\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} - 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}}}{{ - 9{,}13\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}}} = 5{,}12\,{\rm{s}}\]Wegen der ‚Schrecksekunde’ \({t_{\rm{S}}} = 0{,}600\,{\rm{s}}\) benötigt der AUDI bis zum Stillstand insgesamt \(5{,}12\,{\rm{s}} + 0{,}600\,{\rm{s}} = 5{,}72\,{\rm{s}}\).

Wir berechnen nun die Brems- bzw. Anhaltewege. Allgemein gilt für den Bremsweg (gleichmäßig verzögerte Bewegung)\[s(t) = \frac{1}{2} \cdot a \cdot {t^2} + {v_0} \cdot t\]und damit\[{s_{\rm{B}}}(t) = \frac{1}{2} \cdot \left( { - 7{,}87{\mkern 1mu} \frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}} \right) \cdot {\left( {5{,}93\,{\rm{s}}} \right)^2} +46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot 5{,}93\,{\rm{s}} = 139\,{\rm{m}}\]sowie\[{s_{\rm{B}}}(t) = \frac{1}{2} \cdot \left( { - 9{,}13{\mkern 1mu} \frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}} \right) \cdot {\left( {5{,}12\,{\rm{s}}} \right)^2} + 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot 5{,}12\,{\rm{s}} = 119\,{\rm{m}}\]Wegen des in der ‚Schrecksekunde’ \({t_{\rm{S}}} = 0{,}600\,{\rm{s}}\) zurückgelegten Weges von \(46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot 0{,}600\,{\rm{s}} = 28{,}0\,{\rm{m}}\) (gleichförmige Bewegung) beträgt der Anhalteweg des AUDI insgesamt \(119\,{\rm{m}}+28{,}0\,{\rm{m}}=147\,{\rm{m}}\).

Bemerkung: Die Bremswege hätte man auch jeweils mit der Formel \(s =  - \frac{{{v_0}^2}}{{2 \cdot a}}\) berechnen können.

c)Der AUDI hat am Ende der ‚Schrecksekunde’ immer noch die Geschwindigkeit \(v_0=46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\). Der BMW hat in dieser ‚Schrecksekunde’ \({t_{\rm{S}}} = 0{,}600\,{\rm{s}}\) bereits gebremst; für dessen Geschwindigkeit am Ende der ‚Schrecksekunde’ gilt (gleichmäßig verzögerte Bewegung)\[v(t) = a \cdot t + {v_0} \Rightarrow v(0{,}600\,{\rm{s}}) = -7{,}87\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} \cdot 0{,}600\,{\rm{s}} + 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} = 42{,}0\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}\]

d)Der AUDI legt in der ‚Schrecksekunde’ (gleichförmige Bewegung) wie oben bereits berechnet \(s(0{,}600\,{\rm{s}}) = 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot 0{,}600\,{\rm{s}} = 28{,}0\,{\rm{m}}\) zurück.

Der BMW legt in der ‚Schrecksekunde’ (gleichmäßig verzögerte Bewegung) wegen \(s(t) = \frac{1}{2} \cdot a \cdot {t^2} + {v_0} \cdot t\) die Strecke\[s(0{,}600\,{\rm{s}}) = \frac{1}{2} \cdot \left( {-7{,}87\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}} \right) \cdot {\left( {0{,}600\,{\rm{s}}} \right)^2} + 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot 0{,}600\,{\rm{s}} = 26{,}6\,{\rm{m}}\]zurück.

Der Abstand der beiden Fahrzeuge (d.h. der 'Vorsprung' des BMW) hat sich somit während der ‚Schrecksekunde’ um \(28{,}0\,{\rm{m}} - 26{,}6\,{\rm{m}} = 1{,}4\,{\rm{m}}\) verringert und beträgt noch \(10{,}0\,{\rm{m}} - 1{,}4\,{\rm{m}} = 8{,}6\,{\rm{m}}\).

e)Aus den bisherigen Ergebnissen ergibt sich wegen (gleichmäßig verzögerte Bewegung)\[{x_{\rm{B}}}(t) = \frac{1}{2} \cdot a \cdot {t^2} + {v_0} \cdot t + {x_0}\]\[{x_{\rm{A}}}(t) = \frac{1}{2} \cdot \left( { - 9{,}13\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}} \right) \cdot {t^2} + 46{,}7\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot t\]\[{x_{\rm{B}}}(t) = \frac{1}{2} \cdot \left( {-7{,}87\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}}} \right) \cdot {t^2} + 42{,}0\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}} \cdot t + 8{,}6{\rm{m}}\]

f)Gleichsetzen der beiden Zeit-Ort-Terme liefert die quadratische Gleichung (ohne Maßeinheiten)\[\begin{eqnarray}{{x_{\rm{A}}}(t)}& = &{{x_{\rm{B}}}(t)}\\{\frac{1}{2} \cdot \left( { - 9{,}13} \right) \cdot {t^2} + 46{,}7 \cdot t}& = &{\frac{1}{2} \cdot \left( { - 7{,}87} \right) \cdot {t^2} + 42{,}0 \cdot t + 8{,}6}\\0& = &{0{,}63 \cdot {t^2} - 4{,}7 \cdot t + 8{,}6}\end{eqnarray}\]Mit \(a=0{,}63\), \(b=- 4{,}7\) und \(c=8{,}6\) liefert die allgemeine Lösungsformel für quadratische Gleichungen\[L = \left\{ {3{,}2\;;\;4{,}2} \right\}\]Der Zusammenstoß findet also nach etwa \(3{,}2\,\rm{s}\) statt. Die zweite Lösung der quadratischen Gleichung (\(4{,}2\,\rm{s}\)) ist im Sinne der Sachfrage ohne Bedeutung, da ja die Bewegungen der Fahrzeuge nach der Kollision nicht mehr durch die Terme aus e) beschrieben werden; bei einem Überholvorgang allerdings wären zu diesen beiden (!) Zeitpunkten die Vorderstoßstange des Audis und die Hinterstoßstange des BMWs auf gleicher Höhe.

Grundwissen zu dieser Aufgabe

Mechanik

Lineare Bewegung - Gleichungen