Als aufmerksamer Leser der bisherigen Ausführungen über die gleichförmige Kreisbewegung wirst du dich fragen, warum wir uns mit der Bahngeschwindigkeit der gleichförmigen Kreisbewegung noch auseinandersetzen müssen, da wir den Betrag der Bahngeschwindigkeit (\(v = r \cdot \omega \)) doch bereits kennen.
Aus dem nebenstehenden Bild vom Funkenflug bei einer Schleifscheibe könnte man intuitiv entnehmen, dass die Geschwindigkeitsrichtung der Funken, welche die Schleifscheibe gerade "verlassen" tangential zum Scheibenrand ist. Unter Verwendung des Vektorbegriffs könnte man dann formulieren:
Bei der gleichförmigen Kreisbewegung ist der Vektor der Bahngeschwindigkeit stets senkrecht dem Radiusvektor, die Länge des Vektors der Bahngeschwindigkeit ist stets gleich \(v = r \cdot \omega \).
Die folgende Animation stellt diese Aussage bildlich dar.
Warum hier trotzdem ein zweiter, nicht ganz leichter Weg zur Gewinnung der Aussagen über die Bahngeschwindigkeit erläutert wird, hat zwei Gründe:
- Hier können erste Fertigkeiten im Umgang mit Vektoren (gerichtete Größen) gewonnen werden.
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Über diesen - zugegeben etwas umständlichen - Weg zur Gewinnung des Vektors der Bahngeschwindigkeit, versteht man später leichter, wie man zur Beschleunigung bei der gleichförmigen Kreisbewegung gelangt.
Herausforderungen
Bei der Kreisbewegung handelt es sich um eine Bewegung in der Ebene. Hier reicht es nicht - wie bei der linearen Bewegung - eine Achse (meist x-Achse) festzulegen längs derer sich die Bewegung abspielt. Bei Bewegungen in der Ebene braucht man zwei Achsen, bei Bewegungen im Raum drei Achsen, um zu einer eindeutigen Beschreibung des Bewegungsablaufes zu kommen. Als geeignetes Hilfsmittel zur Beschreibung von mehrdimensionalen Bewegungen stellt die Mathematik die Vektorrechnung zur Verfügung, die jedoch im Mathematikunterricht nur noch stiefmütterlich behandelt wird.
Außerdem bräuchte man zu einer mathematisch einwandfreien Behandlung von Momentangeschwindigkeit und Momentanbeschleunigung Grundlagen aus der Infinitesimalrechnung, die zu diesem Zeitpunkt in vielen Bundesländern noch nicht behandelt wurde. Wir versuchen daher auf möglichst anschauliche Weise an das Problem heranzuführen, bei der die mathematische Strenge hintan gestellt wird.
Richtung des Vektors der Momentangeschwindigkeit bei der gleichförmigen Kreisbewegung
Die mittlere Geschwindigkeit
Die mittlere Geschwindigkeit wird bei der Kreisbewegung ganz ähnlich wie bei der linearen Bewegung festgelegt. Allerdings müssen bei dieser ebenen Bewegung nun Vektoren (gerichtete Größen) für Ort und Geschwindigkeit verwendet werden.
\[\overrightarrow { < v > } = \frac{{\vec r({t_2}) - \vec r({t_1})}}{{{t_2} - {t_1}}} \Rightarrow \overrightarrow { < v > } = \frac{{\overrightarrow {\Delta r} }}{{\Delta t}}\]
Hinweis: Man könnte auch zur Beschreibung der linearen Bewegung Vektoren verwenden, wie auf der folgenden Seite erläutert wird. In der Regel verzichtet man jedoch auf diese Verkomplizierung, sie ist jedoch als Vorstufe für das Verständnis der vektoriellen Behandlung der Kreisbewegung durchaus sinnvoll.
Formeln zur Berechnung von Δr und Δs: | \[\Delta r = 2 \cdot r \cdot \sin \left( {\frac{{\Delta \varphi }}{2}} \right)\] | \[\Delta s = \frac{{2 \cdot \pi \cdot \Delta \varphi }}{{360^\circ }} \cdot r\] |
Aufgabe
Beantworten Sie nach dem Studium der Animation folgende Fragen:
a) Welche Richtungsbeziehung gilt zwischen dem Vektor \(\overrightarrow {\Delta r} \) und dem Vektor der mittleren Geschwindigkeit \(\overrightarrow { < v > } \)?
b) Wie gelangt man vom Vektor der mittleren Geschwindigkeit in einem Zeitintervall (anschaulich) zum Vektor der Momentangeschwindigkeit in einem Zeitpunkt?
c) Welche Richtungsbeziehung gilt zwischen dem Radiusvektor \(\vec r\) und dem Vektor der Momentangeschwindigkeit \(\vec v\)?
d) Welchen Trend zeigt der Unterschied zwischen der Länge Δs des Bogens und der zugehörigen Länge des Vektors \(\overrightarrow {\Delta r} \), wenn man zu immer kürzeren Zeiten Δt und damit zu immer kleineren Winkeln Δφ zwischen den beiden betrachteten Radiusvektoren geht?
Momentangeschwindigkeit bei einer gleichförmigen Kreisbewegung
Der Vektor der Momentangeschwindigkeit und der Radiusvektor stehen aufeinander senkrecht:
\(\vec{v} \,\bot \, \vec{r}\)
Der Betrag der Momentangeschwindigkeit ist das Produkt aus Radius und Winkelgeschwindigkeit:
\(v = r \cdot \omega\)
Merkregel: Gewinnung des Geschwindigkeitsvektors aus dem Radiusvektor
Richtung: Drehe den Radiusvektor \(\vec{v}\) im Gegenuhrzeigersinn um \(90^\circ\)
Betrag: Multipliziere den Betrag des Radiusvektors \(r\) mit \(\omega\)
Schlussfolgerung
Dieses Ergebnis für den Betrag der Momentangeschwindigkeit, welches wir durch etwas umständliche "geometrisch-infinitesimale" Überlegungen gewonnen haben, deckt sich mit dem wesentlich schneller gewonnenen Ergebnis von der Seite über skalare Größen. Allerdings gelangen wir mit der zuletzt gezeigten Methode auch zu Aussagen über den Beschleunigungsvektor bei der gleichförmigen Kreisbewegung.