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Aufgabe

Pendolino

Schwierigkeitsgrad: schwere Aufgabe

Die Anregung zu dieser Aufgabe stammt von einem Artikel A. Armbrust: Physikaufgaben aus der Zeitung; MNU 7/2001, Seite 405

In Ländern von der Größenordnung Deutschlands kann man umweltschädlichen inländischen Flugverkehr vermeiden, wenn schnelle Bahnen zur Verfügung stehen. Mit dem ICE in Deutschland (Maximalgeschwindigkeit ca. \(280\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}}\)) und dem TGV in Frankreich versucht man dieses Problem zu lösen. Die Trassen für diese Züge sind sehr teuer und stellen einen erheblichen Eingriff in die Umwelt dar. Mit einem sogenannten Pendelzug (in Italien heißt er Pendolino) versucht man bestehende oft sehr kurvenreiche Gleisstrecken zu nutzen. Lesen Sie sich den folgenden Artikel aus DER WELT vom 3. März 2000 durch und beantworten Sie die folgenden Fragen, wobei Sie die zusätzlichen Informationen nutzen sollten.

Joachim Herz Stiftung Stefan Richtberg
Abb. 1 ICE

Mit 230 Stundenkilometer* auch durch enge Kurven

Frankfurt/Main - Der jetzt von der Bahn aus dem Verkehr gezogene Neigetechnikzug ICE-T mit einem Spitzentempo von 230 Stundenkilometern* spielt seine Vorzüge nicht auf geraden Neubaustrecken, sondern bestehenden kurvenreichen Verbindungen aus. Die seit vielen Jahren bewährte "Pendolino"-Technik von Fiat neigt den ICE-T in Kurven wie einen Motorradfahrer bis zu 8° und ermöglicht so eine um fast ein Drittel höhere Geschwindigkeit. Zwischen Stuttgart und Zürich verkürzt er die Fahrzeit seit Mai letzten Jahres um ein Zehntel . . .

*Anmerkung von LEIFI: Es müsste "Kilometer pro Stunde" heißen.

MNU
Abb. 2 Neigetechnik

Zusätzliche technische Informationen

Die Züge laufen auf einem Grundgerüst (in der Zeichnung blau). Durch eine hydraulische bzw. elektromechanische Vorrichtung (in der Zeichnung rot) kann der Wagenkasten geneigt werden. Sensoren, die an der Spitze des Fahrzeuges angebracht sind, ermitteln bei der Kurvenfahrt die benötigte Neigung des Wagenkastens, um die "entstehende Seitenbeschleunigung" zu kompensieren. Diese Daten werden an die Steuergeräte in den nachfolgenden Wagen weitergegeben, die dann den Wagenkasten entsprechend neigen. Das feinfühlige System ermöglicht es, dass sich z.B. die Spitze des Zuges in einer S-Kurve bereits nach links neigt, während sein Ende noch in die Gegenrichtung auspendelt.

Daten des ET415

Höchstgeschwindigkeit: \(230\,\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}}\) ; Reisegeschwindigkeit: \(160 - 200\,\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}}\) ; Masse: \(250\,{\rm{t}}\) leer, max. \(290\,{\rm{t}}\) beladen ; Maximaler Neigungswinkel: \(8,0^\circ \) ; Leistung am Rad: \(3000\,{\rm{kW}}\) ; Anfahrzugkraft: \(150\,{\rm{kN}}\)

a)

Die Beschleunigung beim Anfahren des voll besetzten Zuges sei ca. \(0{,}05\cdot g\). Berechnen Sie die Widerstandskraft beim Anfahren.

b)

Berechnen Sie den Betrag der Zentrifugalkraft, die ein Reisender mit der Masse \(81,5{\rm{kg}}\) in einem herkömmlichen Zug erfahren würde, wenn der Zug eine Kurve mit dem Radius \(1800{\rm{m}}\) mit der Geschwindigkeit \(180\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}}\) durchfahren würde. Berechnen Sie weiter, wie viel Prozent der Gewichtskraft demnach die Zentrifugalkraft betragen würde.

c)

Beschreiben Sie den Vorteil, den ein Reisender im Neigezug bei einer Kurvenfahrt im Vergleich zum Reisenden im herkömmlichen Zug verspürt (gleicher Kurvenradius, gleiche Geschwindigkeit). Ziehen Sie zur Erklärung evtl. ein Kräftediagramm heran.

d)

Die Neigung des Zuges ET 415 sei bei der Geschwindigkeit von \(180\frac{{{\rm{km}}}}{{\rm{h}}}\) gerade \(8,0^\circ \). Berechnen Sie, bei welchem Kurvenradius dann gerade keine "Seitenbeschleunigung" auftritt.

e)

Das Grundgerüst des Zuges (in der obigen Zeichnung blau) neigt sich nicht. Die Kräfte auf die Schienen sind daher beim schneller fahrenden Neigezug höher als bei einem herkömmlichen Zug. Machen Sie zwei Vorschläge wie man die hohe Gleisbelastung durch den Neigezug mindern könnte.

Lösung einblendenLösung verstecken Lösung einblendenLösung verstecken
a)

Die Widerstandskraft \({F_W}\) berechnen wir mit Hilfe des 2. NEWTONschen Axioms; bezeichnen wir die maximale Zugkraft mit \({F_{Z,\max }}\), so gilt
\[{F_{Z,\max }} - {F_W} = m \cdot a \Leftrightarrow {F_W} = {F_{Z,\max }} - m \cdot a\]
Einsetzen der gegebenen Werte liefert
\[{F_W} = 150 \cdot {10^3}{\rm{N}} - 290 \cdot {10^3}{\rm{kg}} \cdot 0,05 \cdot 9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} = 7,8 \cdot {10^3}{\rm{N}} = 7,8{\rm{kN}}\]

b)

Bezeichnet man die Zentrifugalkraft mit \(F_R^*\), so gilt
\[F_R^* = \frac{{m \cdot {v^2}}}{r} \Rightarrow F_R^* = \frac{{81,5{\rm{kg}} \cdot {{\left( {\frac{{180}}{{3,6}}\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}} \right)}^2}}}{{1800{\rm{m}}}} = 113{\rm{N}}\]
Der gesuchte Prozentsatz \(p\% \) ergibt sich durch
\[p\%  = \frac{{113{\rm{N}}}}{{81,5{\rm{kg}} \cdot 9,81\frac{{\rm{N}}}{{{\rm{kg}}}}}} = 14\% \]
Dies bedeutet, dass der Passagier in dem herkömmlichen Zug eine beträchtliche Zentrifugalkraft verspüren würde.

c)
MNU
Abb. 3 Skizze zur Lösung

Durch die Neigung des Zuges tritt aufgrund der Gewichtskraft der Person eine zum Kurvenmittelpunkt gerichtete Radialkraft \(F_R\) auf, die der Zentrifugalkraft \(F_R^*\) entgegenwirkt. Dadurch erfährt der Reisende keine oder nur eine sehr kleine seitliche Beschleunigung. Das Fahren in diesem Zug ist also bequemer. Durch die nun mögliche höhere Kurvengeschwindigkeit verkürzt sich die Fahrzeit.

d)

Keine seitliche Beschleunigung ist spürbar, wenn \(F_R^* = {F_R} = {F_G} \cdot \tan \left( \alpha  \right)\) ist. Daraus ergibt sich
\[F_R^* = {F_G} \cdot \tan \left( \alpha  \right) \Leftrightarrow \tan \left( \alpha  \right) = \frac{{F_R^*}}{{{F_G}}} = \frac{{m \cdot \frac{{{v^2}}}{r}}}{{m \cdot g}} = \frac{{{v^2}}}{{r \cdot g}} \Leftrightarrow r = \frac{{{v^2}}}{{g \cdot \tan \left( \alpha  \right)}}\]
Einsetzen der gegebenen Werte liefert
\[r = \frac{{{{\left( {\frac{{180}}{{3,6}}\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}} \right)}^2}}}{{9,81\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} \cdot \tan \left( {8,0^\circ } \right)}} \approx 1,8{\rm{km}}\]
Bei der gegebenen Geschwindigkeit ist ein Kurvenradius von ca. \(1,8\rm{km}\) optimal.

e)

Eine Möglichkeit ist eine Kurvenüberhöhung der Geleise (ist teilweise auch schon bei herkömmlichen Strecken erfüllt).

Eine andere Möglichkeit ist die Leichtbauweise des Pendelzuges. Bei geringerer Gewichtskraft vermindern sich auch die Kräfte auf die Geleise. Die Pendelzüge werden zum großen Teil aus Aluminium gefertigt.

Grundwissen zu dieser Aufgabe