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Versuche

Bestimmung der Gravitationskonstante mit der Beschleunigungsmethode (IBE der FU Berlin/QUA-Lis NRW)

Das Ziel des Versuchs

Aufbau und Durchführung

Die Abb. 1 zeigt den prinzipiellen Aufbau und die Durchführung des Experiments zur Bestimmung der Gravitationskonstante mit der Gravitationsdrehwaage. Die Gravitationsdrehwaage besteht aus einer Hantel der Länge \(2\,d\), an deren Enden zwei kleine Bleikugeln der Masse \(m\) an einem Torsionsfaden aufgehängt sind. Auf einem zweiten, von außen drehbarem Querarm sind zwei große Bleikugeln mit der Masse \(M\) angebracht.

Abb. 1.a) zeigt die Ausgangsstellung: Die beiden großen Kugeln befinden sich weit von den kleinen Kugeln entfernt, so dass auf diese keine Gravitationskraft wirkt. Die Hantel befindet sich in der Ruhelage (Stellung I), der Torsionsfaden ist nicht verdreht, es wirkt keine Torsionskraft auf die Hantel.

Abb. 1.b) zeigt die großen Kugeln in Stellung A: Auf die kleinen Kugeln wirkt nun eine Gravitationskraft \(\vec F_{\rm{G}}\), so dass sie sich in Richtung der großen Kugeln in Bewegung setzen werden.

Nach einiger Zeit hat sich die in Abb. 1.c) gezeigte Situation eingestellt: Die kleinen Kugeln haben sich um eine Strecke der Länge \(s\) in Richtung der großen Kugeln bewegt (Stellung II), die Mittelpunkte von großer und kleiner Kugel haben den Abstand \(r\). Nun wirkt eine definierte Gravitationskraft \(\vec F_{\rm{G}}\) auf die kleinen Kugeln. Durch die Verdrehung des Torsionsfadens wirkt zusätzlich eine Torsionskraft \(\vec F_{\rm{D}}\) auf die kleinen Kugeln. In dieser Situation hat sich ein Kräftegleichgewicht zwischen Gravitations- und Torsionskraft eingestellt, Torsionskraft und  Gewichtskraft sind jetzt betraglich gleich. Nun richtet man einen Lichstrahl (rot gestrichelt) auf einen kleinen Spiegel, der an der Hantel befestigt ist. Der reflektierte Lichtstrahl (rot durchgehend) markiert die momentane Drehung der Hantel auf einem Schirm, der den Abstand \(L\) von der Hantel hat.

Abb. 1.d) zeigt den Beginn der Messung: Die großen Kugeln werden in Stellung B gebracht und gleichzeitig eine Zeitmessung gestartet. Auf die kleinen Kugeln wirkt nun weiterhin die Gravitationskraft \(\vec F_{\rm{G}}\), nun aber in die entgegengesetzte Richtung. Zusätzlich wirkt die Torsionskraft \(\vec F_{\rm{D}}\). Die Gesamtkraft auf die kleinen Kugeln beträgt nun \(2 \cdot \vec F_{\rm{G}}\). Aufgrund dieser Kraft werden sich die kleinen Kugeln beschleunigt in Richtung der großen Kugeln in Bewegung setzen.

Nach einiger Zeit hat sich die in Abb. 1.e) gezeigte Situation eingestellt: Die Hantel hat sich in Richtung der großen Kugeln gedreht (und bewegt sich weiter auf diese zu). Aufgrund der Drehung der Hantel hat der Lichtzeiger seine Position auf dem Schirm verändert. In dieser Situation wird die Zeitmessung und damit der Versuch beendet.

Theorie
Aufgabe

1. Schritt

Im 1. Schritt wollen wir aus der Kraft, die auf eine kleine Kugel wirkt, einen Term für ihre anfängliche Beschleunigung \(a_0\) zwischen den Abb. 1.d) und 1.e) herleiten.

Da sich während der Messzeit von ca. \(60\,\rm{s}\) die kleine Kugel kaum bewegt können wir die folgenden Näherungen machen:

  • Während der Bewegung der kleinen Kugel ändert sich der Abstand der beiden Kugelmittelpunkte und damit die Gravitationskraft \(\vec F_{\rm{G}}\). Während der Messzeit ist diese Abstandsänderung aber sehr klein, so dass wir sie vernachlässigen und von einer konstanten Gravitationskraft ausgehen können.
  • Während der Bewegung der kleinen Kugel ändert sich die Verdrillung des Torsionsfadens und damit die Torsionskraft \(\vec F_{\rm{D}}\). Während der Messzeit ist diese Änderung der Verdrillung aber sehr klein, so dass wir sie vernachlässigen und von einer konstanten Torsionskraft ausgehen können.

Zeige mit diesen Näherungen, dass für die anfängliche Beschleunigung \(a_0\) der kleinen Kugel zwischen den Abb. 1.d) und 1.e) gilt\[{a_0} = 2 \cdot G \cdot \frac{M}{r^2} \quad (1)\]

Lösung

Nach dem Umlegen der großen Kugeln von Stellung A zu Stellung B wirkt im ersten Moment auf die kleine Kugel die Torsionskraft \(\vec F_{\rm{D}}\) und die Gravitationskraft \(\vec F_{\rm{G}}\) in die gleiche Richtung und mit gleichem Betrag. Wie oben gesagt nehmen wir an, dass die beiden Kräfte während der Messung konstant bleiben. Somit gilt\[F_{\rm{D}}=F_{\rm{G}}=G \cdot \frac{m \cdot M}{r^2}\]Damit ergibt sich\[F_{\rm{ges}} = F_{\rm{G}} + F_{\rm{D}} = 2 \cdot F_{\rm{G}} = 2 \cdot G \cdot \frac{m \cdot M}{r^2}\]Nach dem 2. Axiom von NEWTON gilt nun\[a_0 = \frac{F_{\rm{ges}}}{m} = \frac{2 \cdot G \cdot \frac{m \cdot M}{r^2}}{m} = 2 \cdot G \cdot \frac{M}{r^2}\]

2. Schritt

Im 2. Schritt wollen wir aus der Bewegung der kleinen Kugel einen anderen Term für ihre anfängliche Beschleunigung \(a_0\) zwischen den Abb. 1.d) und 1.e) herleiten.

Da sich während der Messzeit von ca. \(60\,\rm{s}\) die kleine Kugel kaum bewegt können wir folgende weitere Näherung machen:

  • Die Bewegung der kleinen Kugel findet auf einer Kreisbahn statt. Während der Messzeit ist die zurückgelegte Strecke aber sehr klein, so dass wir statt des Kreisbogens auch die direkte gerade Strecke betrachten können.

Zeige mit dieser Näherung, dass für die anfängliche Beschleunigung \(a_0\) der kleinen Kugel zwischen den Abb. 1.d) und 1.e) gilt\[a_0=\frac{2 \cdot s}{\Delta t^2} \quad (2)\]

Lösung

Wie in 1. Schritt bereits gesagt gehen wir davon aus, dass sich die kleine Kugel in der Zeitspanne \(\Delta t\) gleichmäßig beschleunigt mit der Beschleunigung \(a_0\) bewegt. Sie legt dabei nach der erneuten Näherung eine Strecke der Länge \(s\) zurück. Nach der Formel für die zurückgelegte Strecke bei einer gleichmäßig beschleunigten Bewegung gilt somit\[s=\frac{1}{2} \cdot a_0 \cdot \Delta t^2 \Leftrightarrow a_0=\frac{2 \cdot s}{\Delta t^2}\]

3. Schritt

Leite aus den Ergebnissen der ersten beiden Schritte den Term\[G = \frac{{s \cdot {r^2}}}{{M \cdot \Delta {t^2}}} \quad (3)\]für die Gravitationskonstante \(G\) her.

Begründe, warum in der Praxis mit diesem Term die Gravitationskonstante \(G\) nicht berechnet werden kann.

Lösung

Setzen wir die beiden Terme für die Beschleunigung \(a_0\) in den Gleichungen \((1)\) und \((2)\) gleich, so erhalten wir\[2 \cdot G \cdot \frac{M}{{{r^2}}} = \frac{{2 \cdot s}}{{\Delta {t^2}}} \Leftrightarrow G = \frac{{s \cdot {r^2}}}{{M \cdot \Delta {t^2}}} \quad (3)\]Da die sehr kleine Streckenlänge \(s\) nicht messbar ist, kann man mit diesem Term die Gravitationskonstante \(G\) nicht berechnen.

Joachim Herz Stiftung
Abb. 2 Skizze zur Herleitung des Zusammenhangs zwischen \(s\) und \(\Delta S\)

4. Schritt

Aus den bisher gemachten Näherungen wird deutlich, dass die Streckenlänge \(s\) zu klein ist, um direkt gemessen werden zu können. Im 4. Schritt wollen wir einen Term herleiten, mit dem wir aus der messbaren Strecke \(\Delta S\) und anderen messbaren Größen die gesuchte Streckenlänge \(s\) berechnen können.

In der Skizze in Abb. 2 ist bereits berücksichtigt, dass der Lichtstrahl (rot gestrichelt) an einem Spiegel auf der Hantel zum Schirm gelenkt wird (rot durchgehend). Wenn sich die Hantel und damit der Spiegel um \(\Delta \varphi\) gedreht hat, so hat sich der Einfallswinkel des Lichtstrahls ebenfalls um \(\Delta \varphi\) vergrößert. Wegen des Reflexionsgesetzes sind Einfallswinkel und Reflexionswinkel gleich groß, der Reflexionswinkel hat sich also ebenfalls um \(\Delta \varphi\) vergrößert. Damit hat sich der reflektierte Lichtstrahl insgesamt um \(2\,\Delta \varphi\) gedreht und dabei die Strecke \(\Delta S\) auf dem Schirm überstrichen.

Da sich während der Messzeit von ca. \(60\,\rm{s}\) die Hantel kaum dreht können wir folgende weitere Näherung machen:

  • Die Streckenlänge \(\Delta S\) wird auf einem geraden Schirm gemessen. Sie ist aber fast gleich dem Bogen eines Kreises mit dem Radius \(L\), den der Lichzeiger bei Drehung um \(2\,\Delta \varphi\) überstreicht.

Zeige mit dieser Näherung und mit Hilfe der Skizze in Abb. 2, dass für die Streckenlänge \(s\) gilt\[s = \frac{\Delta S \cdot d}{2 \cdot L} \quad (4)\]

Lösung

Für den Winkel, um den sich die Hantel während der Bewegung dreht, gilt im Bogenmaß\[\Delta \varphi  = \frac{s}{d}\]Für den Winkel, um den sich der Lichtzeiger dabei bewegt, gilt wegen der oben gemachten Näherung im Bogenmaß\[2 \cdot \Delta \varphi  = \frac{\Delta S}{L} \Leftrightarrow \Delta \varphi  = \frac{\Delta S}{{2 \cdot L}}\]Setzt man diese beiden Gleichungen gleich, so erhält man\[\frac{\Delta S}{2 \cdot L} = \frac{s}{d} \Leftrightarrow s = \frac{\Delta S \cdot d}{2 \cdot L}\]

5. Schritt

Leite aus den bisherigen Ergebnissen die Formel\[G = \frac{d \cdot r^2}{{2 \cdot L \cdot M}} \cdot \frac{\Delta S}{{\Delta t}^2} \quad (5)\]zur Bestimmung der Gravitationskonstante aus messbaren Größen her.

Lösung

Setzen wir in Gleichung \((3)\)\[G = \frac{{s \cdot {r^2}}}{{M \cdot \Delta {t^2}}} \quad (3)\]den Term für \(s\) aus Gleichung \((4)\)\[s = \frac{\Delta S \cdot d}{2 \cdot L} \quad (4)\]ein, so erhalten wir\[G = \frac{{\frac{{\Delta S \cdot d}}{{2 \cdot L}} \cdot {r^2}}}{{M \cdot \Delta {t^2}}} = \frac{{\Delta S \cdot d \cdot {r^2}}}{{2 \cdot L \cdot M \cdot \Delta {t^2}}} = \frac{{d \cdot {r^2}}}{{2 \cdot L \cdot M}} \cdot \frac{{\Delta S}}{{\Delta {t^2}}} \quad (4)\]

Abb. 3 Bestimmung der Gravitationskonstante (Beschleunigungsmethode) (© 2021, AG Didaktik der Physik, Freie Universität Berlin in Kooperation mit QUA-LiS NRW)

Beobachtung
Aufgabe

Starte die Messung. Die vordere große Bleikugel ist in Position I (links).

Schwenke die Kugel nach rechts (Position II). Jeweils nach \(20\,\rm{s}\) wird eine neue Lichtzeigerposition gemessen.

Bestimme die Lichtzeigerpositionen S in der ersten Minute nach dem Umlegen der großen Bleikugeln.

Trage die Messwerte in die folgende Tabelle ein.

Tab. 1a Tabelle ohne Messwerte
\(\Delta t\) in \(\rm{s}\) \(0\) \(20\) \(40\) \(60\)
\(\Delta S\) in \(\rm{m}\) \(\quad\) \(\quad\) \(\quad\) \(\quad\)

Lösung

Tab. 1b Tabelle mit Messwerten
\(\Delta t\) in \(\rm{s}\) \(0\) \(20\) \(40\) \(60\)
\(\Delta S\) in \(\rm{m}\) \(0{,}0000\) \(0{,}0006\) \(0{,}0013\) \(0{,}0022\)
Auswertung
Aufgabe

Bestimme aus den Messwerten einen Mittelwert für die Größe \(\frac{\Delta S}{{\Delta t}^2}\).

Lösung

Je nach Art der Mittelwertbestimmung z.B. durch eine Ausgleichsgerade erhält man \(\frac{\Delta S}{{\Delta t}^2}=9{,}7 \cdot 10^{-7}\,\frac{\rm{m}}{\rm{s}^2}\).

Berechne die Gravitationskonstante aus den Messwerten \(r = 47\,{\rm{mm}}\), \(d = 50\,{\rm{mm}}\), \(M = 1{,}5\,{\rm{kg}}\), \(L = 70\,{\rm{cm}}\) und \(\frac{\Delta S}{{\Delta t}^2}=9{,}7 \cdot 10^{-7}\,\frac{\rm{m}}{\rm{s}^2}\).

Lösung

Setzt man \(r = 47\,{\rm{mm}}=47\cdot 10^{-3}\,\rm{m}\), \(d = 50\,{\rm{mm}}=50\cdot 10^{-3}\,\rm{m}\), \(M = 1{,}5\,{\rm{kg}}\), \(L = 70\,{\rm{cm}}=70\cdot 10^{-2}\,\rm{m}\) und \(\frac{\Delta S}{{\Delta t}^2}=9{,}7 \cdot 10^{-7}\,\frac{\rm{m}}{\rm{s}^2}\) in Gleichung \((5)\) ein, so erhält man (mit zwei gültigen Ziffern Genauigkeit)\[G = \frac{{50 \cdot {{10}^{-3}}\,{\rm{m}} \cdot {{\left( {47 \cdot {{10}^{-3}}\,{\rm{m}}} \right)}^2}}}{{2 \cdot 70 \cdot {{10}^{-2}}\,{\rm{m}} \cdot 1{,}5\,{\rm{kg}}}} \cdot 9{,}7 \cdot {10^{-7}}\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^{\rm{2}}}}} = 5{,}1 \cdot {10^{-11}}\frac{{{{\rm{m}}^3}}}{{{\rm{kg}}\;{{\rm{s}}^2}}}\]Dieser Wert weicht um ca. \(25\%\) vom Literaturwert ab.