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Ausblick

Gravitationsfeldstärke und Ortsfaktor

Experimentelle Bestimmung des Ortsfaktors

Im Grundwissensartikel zur Gravitationskraft haben wir noch einmal die aus der Mittelstufe bekannte Tatsache formuliert, dass du den Betrag \(F_{\rm{G}}\) der Gravitationskraft auf einen Körper der Masse \(m\) in der Nähe der Erdoberfläche durch \(F_{\rm{G}} = m \cdot g\) berechnen kannst. Für die Konstante \(g\), den sogenannten Ortsfaktor, nehmen wir in Deutschland üblicherweise den Wert \(g=9{,}81\,\frac{\rm{N}}{\rm{kg}}\). Du weißt aber bereits, dass der Ortsfaktor an unterschiedlichen Orten leicht unterschiedliche Werte hat.

Den Ortsfaktor \(g\) für einen bestimmten Ort kannst du auf zwei unterschiedliche Weisen experimentell bestimmen:

  • Du nimmst einen Körper mit einer bekannten Masse \(m\) und misst mit einer genauen Federwaage den Betrag \(F_{\rm{G}}\) der Gewichtskraft auf diesen Körper. Der Ortsfaktor ist dann der Quotient \(g=\frac{F_{\rm{G}}}{m}\).

  • Du nimmst einen Körper mit möglichst großer Dichte und möglichst kleinem Luftwiderstand, lässt ihn eine bestimmte Strecke \(s\) fallen und misst die Zeitspanne \(t\), die der Körper benötigt, um die Strecke zurückzulegen. Der Ortsfaktor ist dann der Quotient \(g=\frac{2 \cdot s}{t^2}\).

Genaue Messungen liefern für Hamburg den Ortsfaktor \(g_{\rm{exp}}=9{,}814\,\frac{\rm{N}}{\rm{kg}}\) 5.

Theoretische Bestimmung des Ortsfaktors

Aber lässt sich der Ortsfaktor auch theoretisch bestimmen? Aus dem Grundwissenartikel zur Gravitationskraft weißt du, dass die Gewichtskraft auf einen Körper der Masse \(m\) in der Nähe der Erdoberfläche nichts anderes ist als die Gravitationskraft zwischen dem Körper und der Erde mit dem Abstand des Ortes zum Erdmittelpunkt als Mittelpunktsabstand. Rechnen wir mit \(G=6{,}674 \cdot 10^{-11}\,\frac{\rm{N}\,\rm{m}^2}{\rm{kg}^2}\) und \(M_{\rm{E}}=5{,}972 \cdot 10^{24}\,\rm{kg}\), so erhalten wir für Hamburg mit \(r_{\rm{HH}} = 6364 \cdot 10^3\,{\rm{m}}\) 3\[g_{\rm{Grav}}=\frac{{F_{\rm{G}}}}{m} = \frac{G \cdot \frac{{m \cdot M}}{{{r^2}}}}{m} = G \cdot \frac{M}{{{r^2}}} \Rightarrow g_{\rm{Grav}} = 6{,}674 \cdot {10^{ - 11}}\, \frac{{{\rm{N}}\,{{\rm{m}}^2}}}{{{\rm{k}}{{\rm{g}}^2}}} \cdot \frac{{5{,}972 \cdot {{10}^{24}}\,{\rm{kg}}}}{{{{\left( {6364 \cdot {{10}^3}\,{\rm{m}}} \right)}^2}}} = 9{,}841\,\frac{{\rm{N}}}{{{\rm{kg}}}}\]Diesen Wert bezeichnen wir als Gravitationsanteil des Ortsfaktors, er weicht lediglich um \(0{,}28\%\) vom gemessenen Wert ab.

Abb. 1 Skizze zur Berechnung des Kreisradius \(r_{\rm{ZF}}\) und des ortogonalen Anteils \(a_{\rm{ZF,orth}}\) der Zentrifugalbeschleunigung

Nun haben wir aber noch nicht alle Faktoren berücksichtigt. Da sich die Erde um die Erdachse dreht, wirkt auf jeden Körper auf der beschleunigten Erdoberfläche noch eine Zentrifugalbeschleunigung \(\vec a_{\rm{ZF}}\), die von der Erdachse weg gerichtet ist (vgl. Abb. 1). Mit dem Kreisradius \(r_{\rm{ZF}}\) ist auch der Betrag dieser Zentrifugalbeschleunigung von der geographischen Breite \(\phi\) des Ortes abhängig. Aus Abb. 1 entnehmen wir\[{r_{{\rm{ZF}}}} = r \cdot \cos (\phi )\]und erhalten mit \({\omega  = \frac{{2 \cdot \pi }}{T}}\)\[{a_{{\rm{ZF}}}} = {\omega ^2} \cdot {r_{{\rm{ZF}}}} = {\left( {\frac{{2 \cdot \pi }}{T}} \right)^2} \cdot r \cdot \cos (\phi )\]Nun wird der Ortsfaktor nur durch die zur Erdoberfläche orthogonale Komponente \(\vec a_{\rm{ZF,orth}}\) beeinflusst. Für diese gilt (vgl. Abb. 1)\[a_{\rm{ZF,orth}} = a_{\rm{ZF}} \cdot \cos (\phi ) = {\left( {\frac{{2 \cdot \pi }}{T}} \right)^2} \cdot r \cdot {\cos ^2}(\phi )\]Rechnen wir mit \(T=86164\,\rm{s}\) 6, so erhalten wir für Hamburg mit \(r_{\rm{HH}} = 6364 \cdot 10^3\,{\rm{m}}\) 3 für den Betrag \(a_{\rm{ZF,orth}}\)\[{a_{{\rm{ZF,orth}}}} = {\left( {\frac{{2 \cdot \pi }}{{86164\,{\rm{s}}}}} \right)^2} \cdot 6364 \cdot {10^3}\,{\rm{m}} \cdot {\cos ^2}\left( {53{,}55^\circ } \right) = 0{,}012\,\frac{{\rm{N}}}{{{{\rm{kg}}}}}\]Diesen Wert bezeichnen wir als Zentrifugalanteil des Ortsfaktors. Er muss vom Gravitationsanteil des Ortsfaktors abgezogen werden, das die Zentrifugalkraft vom Erdmittelpunkt weg gerichtet ist.

Rechnen wir entsprechend beide Werte zusammen, so erhalten wir für Hamburg\[g_{\rm{theo}} = 9{,}841\,\frac{{\rm{N}}}{{{\rm{kg}}}} - 0{,}012\,\frac{{\rm{N}}}{{{\rm{kg}}}} = 9{,}829\,\frac{{\rm{m}}}{{{{\rm{s}}^2}}}\]Dieser Wert weicht lediglich um \(0{,}15\%\) vom gemessenen Wert ab. Ursachen hierfür sind Abweichungen der Erdform vom idealen Ellipsoid und geologische Formationen im Untergrund.

Zusammenfassung

Führen wir analoge Untersuchungen für den Äquator und die Pole durch, so erhalten wir folgende Ergebnisse:

Tab. 1 Zusammenfassung der Ergebnisse
  Äquator Hamburg     Pol    
Geographische Breite \(\phi \) \(0^\circ \) \(53{,}55^\circ \) 1 \(90^\circ \)
Abstand zum Erdmittelpunkt \(r\;\rm{in}\;\rm{km}\) \(6378\) 2 \(6364\) 3 \(6357\) 2
\(g_{\rm{Grav}}\;\rm{in}\;\frac{\rm{N}}{\rm{kg}}\) \(9{,}798\) \(9{,}841\) \(9{,}863\)
\(a_{\rm{ZF,orth}}\;\rm{in}\;\frac{\rm{N}}{\rm{kg}}\) \(-0{,}034\) \(-0{,}012\) \(0\)
\(g_{\rm{theo}}\;\rm{in}\;\frac{\rm{N}}{\rm{kg}}\) \(9{,}764\) \(9{,}829\) \(9{,}863\)
\(g_{\rm{exp}}\;\rm{in}\;\frac{\rm{N}}{\rm{kg}}\) \(9{,}780\) 4 \(9{,}814\) 5 \(9{,}832\) 4
relative Abweichung \(\frac{{\left| {{g_{{\rm{theo}}}} - {g_{{\rm{exp}}}}} \right|}}{{{g_{{\rm{exp}}}}}}\) \(0{,}16\%\) \(0{,}15\%\) \(0{,}32\%\)

Fußnoten

1 Wikipedia / Hamburg (abgerufen am 26.10.2019)

2 Wikipedia / Erdradius (abgerufen am 26.10.2019)

Abb. 2 Skizze zur Bestimmung des Abstands von Hamburg zum Erdmittelpunkt (nicht maßstäblich)

3 Mit etwas Wissen über Ellipsen kannst du den Abstand von Hamburg zum Erdmittelpunkt relativ genau bestimmen. Betrachten wir die Erde als einen Ellipsoiden, so hat jeder Querschnitt durch die Erde die Form einer Ellipse. Die große Halbachse \(a\) ist gleich dem Äquatorradius von \(6378\,\rm{km}\), die kleine Halbachse \(b\) gleich dem Polradius von \(6357\,\rm{km}\). Betrachten wir nur den Teil der Ellipse nördlich vom Äquator, so wird diese durch eine Funktion mit\[y = \frac{b}{a} \cdot \sqrt {{a^2} - {x^2}} \quad(1)\]beschrieben. Nun liegt die Strecke vom Erdmittelpunkt nach Hamburg (geographische Breite \(\phi  = 53{,}55^\circ \)) auf der Geraden mit\[y = \tan \left( \phi  \right) \cdot x \quad(2)\]und Hamburg auf dem Schnittpunkt der Ellipse mit der Geraden. Wir müssen also mit \((1)\) und \((2)\) die Lösung der Gleichung\[\frac{b}{a} \cdot \sqrt {{a^2} - {x^2}}  = \tan \left( \phi  \right) \cdot x \quad(3)\]bestimmen und erhalten dann die \(x\)-Koordinate von Hamburg. Quadrieren der Gleichung \((3)\) liefert\[\begin{eqnarray}\frac{{{b^2}}}{{{a^2}}} \cdot \left( {{a^2} - {x^2}} \right) &=& {\tan ^2}\left( \phi  \right) \cdot {x^2}\\{b^2} - \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}} \cdot {x^2} &=& {\tan ^2}\left( \phi  \right) \cdot {x^2}\\{b^2} &=& {\tan ^2}\left( \phi  \right) \cdot {x^2} + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}} \cdot {x^2} = \left( {{{\tan }^2}\left( \phi  \right) + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}}} \right) \cdot {x^2}\\\frac{{{b^2}}}{{{{\tan }^2}\left( \phi  \right) + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}}}} &=& {x^2} \quad(4)\end{eqnarray}\]Da wir später gar nicht \(x\) selbst, sondern nur \(x^2\) benötigen, rechnen wir hier nicht weiter. Aus \((1)\) erhalten wir nun\[{y^2} = \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}} \cdot \left( {{a^2} - {x^2}} \right)\]und mit \((4)\)\[{y^2} = \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}} \cdot \left( {{a^2} - \frac{{{b^2}}}{{{{\tan }^2}\left( \phi  \right) + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}}}}} \right) \quad (5)\]Nun können wir nach dem Satz des PYTHAGORAS den Abstand \(r\) von Hamburg zum Erdmittelpunkt berechnen:\[r = \sqrt {{x^2} + {y^2}} \underbrace  = _{(4),(5)}\sqrt {\frac{{{b^2}}}{{{{\tan }^2}\left( \phi  \right) + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}}}} + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}} \cdot \left( {{a^2} - \frac{{{b^2}}}{{{{\tan }^2}\left( \phi  \right) + \frac{{{b^2}}}{{{a^2}}}}}} \right)} \]Einsetzen der Werte \(a=6378\,\rm{km}\), \(b=6357\,\rm{km}\) und \(\phi  = 53{,}55^\circ \) liefert \(r = 6364{\rm{km}}\).

4 Wikipedia / Schwerefeld (abgerufen am 26.10.2019)

5 PTB (abgerufen am 26.10.2019)

6 Wikipedia / Erdrotation (abgerufen am 26.10.2019)