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Grundwissen

Starke Wechselwirkung

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Der starken Wechselwirkung unterliegen nur Teilchen, die eine Farbladung besitzen, also auf Quarks. Es gibt 6 verschiedene Farbladungen: rot, grün, blau, anti-rot, anti-grün und anti-blau.
  • Die Botenteilchen der starken Wechselwirkung sind die acht Gluonen. Diese tragen selbst unterschiedliche Farbladungen.
  • Es gibt keine freien Quarks, sie finden sich immer in Zweier- oder Dreiergruppen.
Starke Wechselwirkung

 

cc-by-sa Netzwerk Teilchenwelt, Joachim Herz Stiftung
Abb. 1 Konzept der starken Wechselwirkung

Die starke Wechselwirkung ist u.a. für die Bindung der Quarks in Protonen und Neutronen, die Kraft zwischen Protonen und Neutronen im Atomkern (Kernkraft) und den radioaktiven α-Zerfall verantwortlich.

Der starken Wechselwirkung unterliegen nur Teilchen, die eine starke Ladung ("Farbladung") (genauer: einen von \(\vec 0\) verschiedenen Farbladungsvektor, vgl. unten) besitzen.

Die Vermittlung der starken Wechselwirkung zwischen Teilchen mit einer Farbladung geschieht durch Emission und Absorption von Gluonen (engl. glue: kleben), den Botenteilchen der starken Wechselwirkung. Dabei ändert sich im allgemeinen die Farbladung der einzelnen Teilchen.

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Abb. 2 Beispiel für die Vermittlung der starken Wechselwirkung: ein rotes Up-Quark wechselt unter Emission eines rot/anti-grünen Gluons seine Farbe in grün, das grüne Up-Quark wechselt bei der Absorption des Gluons seine Farbe in rot

Die Vermittlung der starken Wechselwirkung zwischen Teilchen mit starker Ladung durch Emission und Absorption von Gluonen ist in der Animation in Abb. 2 am Beispiel der Wechselwirkung zwischen zwei Quarks dargestellt:

Das rote Up-Quark emittiert ein Gluon mit den Farben rot und anti-grün und wird zum grünen Up-Quark. Bei der Absorption dieses Gluons wird das grüne Up-Quark zum roten Up-Quark. Insgesamt kommt es also zu einem Farbwechsel der beiden Up-Quarks. Beachte, dass während des Prozesses die gesamte Farbladung konstant bleibt.

Starke Wechselwirkung im Proton

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Abb. 3 Vermittlung der starken Wechselwirkung zwischen den Quarks im Proton durch Emission und Absorption von Gluonen

Protonen sind aufgebaut aus zwei Up-Quarks und einem Down-Quark. Die drei Quarks werden zusammengehalten durch die Emission und Absorption von Gluonen zwischen jeweils zwei der drei Quarks, bei denen dann im allgemeinen die Farbladungen der beteiligten Quarks wechseln. Beachte, dass die gesamte Farbladung des Protons ständig "weiß" ist.

Starke Wechselwirkung im Neutron

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Abb. 4 Vermittlung der starken Wechselwirkung zwischen den Quarks im Neutron durch Emission und Absorption von Gluonen

Neutronen sind aufgebaut aus einem Up-Quark und zwei Down-Quarks. Die drei Quarks werden zusammengehalten durch die Emission und Absorption von Gluonen zwischen jeweils zwei der drei Quarks, bei denen dann im allgemeinen die Farbladungen der beteiligten Quarks wechseln. Beachte, dass die gesamte Farbladung des Neutrons ständig "weiß" ist.

Zusammenhalt von Protonen und Neutronen im Atomkern

Mesonen und Baryonen (z.B. Proton und Neutron) sind in Bezug auf die Farbladung "weiß", d.h. nach außen hin bemerkt man kaum noch etwas von ihren Farbladungen. Bringt man jedoch zwei Baryonen (z.B. Proton und Neutron) sehr dicht zusammen, so ist eine Restwechselwirkung zu spüren. Die dadurch bedingte Kraft ist zwar viel schwächer als die direkte starke Kraft zwischen den Quarks, aber immer noch stärker als die elektromagnetische Kraft, wie sie bei der Abstoßung zwischen zwei Protonen auftritt. Auf diese Weise kann man mit der starken Wechselwirkung zwischen den Quarks auch den Zusammenhalt der Protonen und Neutronen im Atomkern erklären.

Zum oben beschriebenen Phänomen gibt es eine Entsprechung im Atom: Ein Atom ist nach außen hin elektrisch neutral, obwohl es einen positiv geladenen Kern und eine negativ geladene Hülle besitzt. Trotzdem ist es möglich, dass zwei eng benachbarte Atome aufeinander elektrische Kräfte (van-der-Waals-Kräfte) ausüben.

Starke Ladung (Farbladung)

Die starke Ladung ("Farbladung") (Formelzeichen \(\vec C\)) eines Elementarteilchens bzw. eines Teilchensystems bestimmt, ob es der starken Wechselwirkung unterliegt.

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Abb. 5 Übersicht über die sechs verschiedenen Farbladungen

Die Beschreibung der physikalischen Größe "Farbladung" geschieht durch Vektoren. Es gibt sechs verschiedene Farbladungen: rot, grün, blau, anti-rot, anti-grün und anti-blau.

 

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Abb. 6 Zweidimensionales Farbgitter zur Einordnung der Elementarteilchen mit starker Ladung (Farbladung)

Die Einordnung der Elementarteilchen geschieht in einem zweidimensionalen Farbgitter. Dieses Farbgitter besitzt drei Achsen, die jeweils einen Winkel der Weite \(120^\circ \) miteinander bilden. Die drei Farben "rot", "grün" und "blau" werden  in die Pfeilrichtungen, die Anti-Farben "anti-rot", "anti-grün" und "anti-blau" entgegen der Pfeilrichtungen abgetragen.

Jedes Elementarteilchen oder Teilchensystem, das eine oder mehrere Farbladungen besitzt, kann auf einem der Gitterpunkte des Farbgitters platziert werden. Befindet sich ein Elementarteilchen oder ein Teilchensystem aufgrund einer bestimmten Kombination von Farbladungen auf dem Schnittpunkt der drei Farbachsen (Farbladungsvektor \(\vec 0\)), so bezeichnen wir seine Farbladung salopp als "weiß".

 

Die Farbladung eines Teilchensystems erhält man aus der vektoriellen Addition der Farbladungsvektoren der Elementarteilchen, aus denen das Teilchensystem zusammengesetzt ist.

Allerdings kommen in der Natur Teilchensysteme nur dann vor, wenn sie farbneutrale („weiße“, Farbladungsvektor \(\vec 0\)) Kombinationen aus Elementarteilchen sind.

Bei allen Prozessen, die in der Natur ablaufen, ist die Summe der Farbladungen aller Teilchen vor dem Prozess gleich der Summe der Farbladungen aller Teilchen nach dem Prozess - Farbladungen bleiben erhalten.

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Abb. 7 Einordnung der Elementarteilchen mit starker Ladung (Farbladung) im zweidimensionalen Farbgitter

Die nebenstehende Abbildung zeigt die Farbladungen aller Elementarteilchen mit Farbladung. Die Quarks, die Anti-Quarks und die Gluonen sind die einzigen bekannten Elementarteilchen, die eine Farbladung d.h. Farbladungsvektoren besitzen.

Jedes der Quarks kommt jeweils mit einem der drei verschiedenen Farbladungsvektoren vor. Entsprechend kommt jedes Anti-Quark jeweils mit einem der drei verschiedenen Anti-Farbladungsvektoren vor.

Die acht Gluonen besitzen jeweils eine Kombination aus Farbladungsvektoren. Sechs der acht Gluonen besitzen einen Farbladungsvektor, der sich aus einer Farbe und einer Anti-Farbe zusammensetzt. Bei den beiden verbleibenden Gluonen addieren sich Farben und Anti-Farben jeweils auf komplizierte Art und Weise zum Nullvektor, sie besitzen also keine resultierende Farbladung, ihre Farbladung ist "weiß".

Aufgabe

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Abb. 8 Aufbau des Protons aus zwei Up-Quarks und einem Down-Quark

Bestimme mit Hilfe von Abb. 7 und Abb. 8 die Farbladung des Protons.

Lösung

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Abb. 9 Farbladung des Protons

Die vektorielle Addition der Farbladungen des roten Up-Quarks, des grünen Up-Quarks und des blauen Down-Quarks ergibt den Nullvektor \(\vec 0\), das Proton ist also "weiß".

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Abb. 10 Aufbau des \({\pi ^ - }\)-Mesons aus einem Anti-Up-Quark und einem Down-Quark

Bestimme mit Hilfe von Abb. 7 und Abb. 10 die Farbladung des \({\pi ^ - }\)-Mesons.

Lösung

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Abb. 11 Farbladung des \({\pi ^ - }\)-Mesons

Die vektorielle Addition der Farbladungen des anti-roten Anti-Up-Quarks und des roten Down-Quarks ergibt den Nullvektor \(\vec 0\), das \({\pi ^ - }\)-Meson ist also "weiß".

Gluonen - die Botenteilchen der starken Wechselwirkung

Die Gluonen (engl. glue: kleben) sind die Botenteilchen der starken Wechselwirkung.

Experimente am Beschleuniger PETRA bei DESY liefern 1979 die ersten experimentellen Nachweise für die Existenz des Gluons.

Es gibt insgesamt 8 verschiedene Gluonen, die jeweils verschiedenen Kombinationen aus Farbladungen tragen.  Sechs der acht Gluonen besitzen einen Farbladungsvektor, der sich aus einer Farbe und einer Anti-Farbe zusammensetzt. Bei den beiden verbleibenden Gluonen addieren sich Farben und Anti-Farben jeweils auf komplizierte Art und Weise zum Nullvektor, sie besitzen also keine resultierende Farbladung, ihre Farbladung ist "weiß".

Die Gluonen besitzen keine Masse (\({m_{{{\rm{g}}_i}}} = 0\;;\;i \in \left\{ {1;\;...\;;8} \right\}\)), sie sind elektrisch neutral (\({Z_{{{\rm{g}}_i}}} = 0\;;\;i \in \left\{ {1;\;...\;;8} \right\}\)) und besitzen keine schwache Ladung (\({I_{{{\rm{g}}_i}}} = 0\;;\;i \in \left\{ {1;\;...\;;8} \right\}\)).

Dass Gluonen selbst eine starke Ladung besitzen, ist der tiefliegende Grund dafür, dass die starke Wechselwirkung nur eine begrenzte Reichweite von \(1-2\rm{fm}\) besitzt: Die Gluonen treten miteinander in Wechselwirkung und ziehen sich gegenseitig an.

Da die Gluonen ausschließlich starke Farbladungen und keine weiteren Ladungen besitzen, kann aufgrund der starken Wechselwirkung die elektrische und die schwache Ladung eines Teilchens nicht geändert werden. Bei der starken Wechselwirkung kann ausschließlich die Farbladung eines Quarks oder Anti-Quarks geändert werden.

Confinement (Quark-Gefangenschaft)

Man hat bis heute keine einzelnen, freien Quarks gefunden, sondern immer nur Zweier- oder Dreiergruppen. Quarks kommen also nur in gebundenen "farbneutralen" Zuständen vor, d.h. einem Teilchensystem aus einem Quark und einem Anti-Quark (Mesonen) oder einem Teilchensystem aus drei Quarks (Baryonen). Die Farbladungen der Quarks addieren sich dabei zu "weiß" wie z.B. beim Proton. Die Tatsache, dass Quarks niemals einzeln, sondern stets nur in Gruppen vorkommen, wird mit dem Begriff confinement (Gefangenschaft) umschrieben. Versucht man mit hoher Energie z.B. ein Quark und ein Anti-Quark zu trennen, so bilden sich spontan neue Paare aus Quark und Anti-Quark.

Eine Analogie aus der klassischen Physik wäre das Auseinanderziehen zweier geladener Kondensatorplatten, zwischen denen ein homogenes elektrisches Feld herrscht. Weil die Anziehungskraft zwischen dem beiden Platten konstant bleibt, wächst die Energie dieses Systems mit zunehmender Entfernung immer weiter an.

Glueballs

Da die Botenteilchen der starken Wechselwirkung, die Gluonen, selbst eine Farbladung tragen, wechselwirken sie nicht nur mit den Quarks, sondern auch mit anderen Gluonen. Theoretisch sollte es dann ein gebundenes System aus mehreren Gluonen geben, deren Farbladungen sich zu "weiß" addieren. Dieses hypothetischen zusammengesetzten Teilchen bezeichnet man als Glueball. Leider sind Glueballs in Teilchenbeschleunigern nur sehr schwer nachzuweisen, so dass wir immer noch auf die Entdeckung warten.

Die Animation in Abb. 11 gibt eine Übersicht über die möglichen Wechselwirkungen von Quarks und Anti-Quarks.

Teilchen 1
Teilchen 2
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Abb. 12 Übersicht über alle Möglichkeiten der Wechselwirkung zwischen Quarks und Anti-Quarks durch Emission und Absorption von Gluonen

Kopplungsparameter der starken Wechselwirkung

Berechnungen innerhalb der „Theorie der starken Wechselwirkung“ (Quanten-Chromo-Dynamik (QCD)) zeigen, dass sich die potenzielle Energie \({E_{{\rm{pot,S}}}}\) der starken Wechselwirkung in Abhängigkeit vom Abstand \(r\) wie folgt verändert:\[{E_{{\rm{pot,S}}}}\left( r \right) = \hbar  \cdot c \cdot {\alpha _{\rm{S}}} \cdot \frac{{{{\vec C}_1} \cdot {{\vec C}_2}}}{r} + k \cdot r\;\;\;\;^1\]Dabei steht \({{{\vec C}_1} \cdot {{\vec C}_2}}\) symbolisch für das Skalarprodukt der starken Ladungen, das in spezieller Weise nach Regeln der Quantenmechanik ausgewertet werden muss. Mit \(k = 930\frac{{{\rm{MeV}}}}{{{\rm{fm}}}}\) tritt neben \({\alpha _{\rm{S}}}\) ein zweiter charakteristischer Parameter für die starke Wechselwirkung auf. Aufgrund des linear mit \(r\) wachsenden zweiten Summanden wird die potenzielle Energie für sich vergrößernde Abstände linear größer.

Bei sehr kleinen Äbständen dagegen überwiegt wegen \(\mathop {\lim }\limits_{r \to 0} \left( {k \cdot r} \right) = 0\) der erste Summand gegenüber dem zweiten sehr stark, so dass man näherungsweise erhält\[{E_{{\rm{pot,S}}}}\left( r \right) = \hbar  \cdot c \cdot {\alpha _{\rm{S}}} \cdot \frac{{{{\vec C}_1} \cdot {{\vec C}_2}}}{r} \]

Für die Wechselwirkung zwischen einem Quark und einem Anti-Quark, deren starke Ladungen sich zu Null addieren, ergibt sich \({{\vec C}_1} \cdot {{\vec C}_2} =  - \frac{4}{3}\). Damit erhält man, ähnlich wie bei entgegengesetzt elektrisch geladenen Teilchen, für die potenzielle Energie\[{E_{{\rm{pot,S}}}}\left( r \right) =  - \hbar  \cdot c \cdot {\alpha _{\rm{S}}} \cdot \frac{{\frac{4}{3}}}{r}\]Die Größe des Kopplungsparameters verändert sich nun bei der starken Wechselwirkung mit dem Abstand der beteiligten Teilchen. Sie liegt nun – je nach Abstand der Quarks – bei Werten im Bereich von \({\alpha _{\rm{S}}}\left( {0{,}001\,{\rm{fm}}} \right) \approx \frac{1}{{10}}\) bis zu \({\alpha _{\rm{S}}}\left( {0{,}2\,{\rm{fm}}} \right) \approx \frac{1}{2}\). Bei Vergrößerung des Abstands jenseits von \({0{,}2\,{\rm{fm}}}\) ist der Kopplungsparameter nicht mehr genau berechenbar, bleibt jedoch wohl ungefähr konstant.

1 Die angegebene Gleichung für die potenzielle Energie gilt prinzipiell nur für Teilchen, die eine Farbladung besitzen. Der lineare Term \(k \cdot r\) in der Gleichung der potenziellen Energie ist an die Existenz von Farbladungen gekoppelt, bleibt also im Falle von farbneutralen Teilchen nicht als farbladungsunabhängiger Term stehen.