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Grundwissen

Energiebilanz beim Beta-Minus-Zerfall

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Beim Beta-Minus-Zerfall wandelt sich im Mutterkern \(\rm{X}\) ein Neutron in ein Proton um. Gleichzeitig wird ein \(\beta^-\)-Teilchen (Elektron) und ein Anti-Elektron-Neutrino \(\bar \nu_{\rm{e}}\) emittiert. Die Ordnungszahl des Tochterkerns \(\rm{Y}\) ist um \(1\) größer als die des Mutterkerns, die Massenzahl bleibt gleich.
  • Die Reaktionsgleichung lautet \(_Z^A{\rm{X}}\to\;_{Z+1}^A{\rm{Y}} +\;_{-1}^0{\rm{e^-}}+\;_0^0{\bar \nu_{\rm{e}}}\)
  • Der \(Q\)-Wert berechnet sich mit Atommassen durch \(Q=\left[ m_{\rm{A}}\left( \rm{X} \right)-m_{\rm{A}}\left( \rm{Y} \right)\right] \cdot c^2\)
Aufgaben Aufgaben
Joachim Herz Stiftung
Abb. 1 In der Nuklidkarte sind Kerne mit \(\beta^-\)-Aktivität blau markiert.

Der \(\beta^-\)-Zerfall kommt sowohl bei Elementen in den natürlichen Zerfallsreihen als auch bei künstlich erzeugten Nukliden vor. In der Nuklidkarte sind Kerne mit \(\beta^-\)-Aktivität blau markiert.

Möglichkeiten zur Berechnung des \(Q\)-Wertes

Für die Berechnung des \(Q\)-Wertes sind zwei Betrachtungsweisen möglich:

  • Man geht von den Kernmassen aus.
  • Man geht von den Atommassen aus.

Die experimentelle Bestimmung von Kernmassen ist auch mit modernster Technik kaum möglich. Die Bestimmung von Atommassen dagegen gelingt sehr genau mit Hilfe von Massenspektrometern, bei denen man durch die Ablenkung von z.B. einfach ionisierten Atomen in elektrischen und magnetischen Feldern deren spezifische Ladung bestimmt. Deshalb wird der \(Q\)-Bestimmung über die Atommassen größere Bedeutung zukommen, da man über die Atommassen eine sehr genaue Kenntnis besitzt.

Beide Wege im Vergleich

Tab. 1 Berechnung des \(Q\)-Wertes beim \(\beta^-\)-Zerfall
  Überlegung mit Kernen Überlegung mit Atomen
Animation
Reaktion

Im Mutterkern \(\rm{X}\) wandelt sich ein Neutron in ein Proton um. Gleichzeitig wird ein Elektron und ein Anti-Elektron-Neutrino emittiert.

Der Tochterkern \(\rm{Y}\) besitzt also ein Proton mehr und ein Neutron weniger als der Mutterkern.

  • Das neutrale Mutteratom \(\rm{X}\) wandelt sich unter Emission eines Elektrons und eines Anti-Elektron-Neutrinos in ein einfach positiv ionisiertes Tochteratom \(\rm{Y}^+\) um. Das Tochteratom ist einfach positiv ionisiert, da der Kern ein Protonen gewonnen und die Hülle damit ein Elektronen zu wenig hat.\[{}_Z^A{\rm{X}}\to{}_{Z + 1}^A{{\rm{Y}}^ + } + {}_{ - 1}^0{{\rm{e}}^ - } + {}_0^0{{\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}}\]
  • Das einfach positv geladene Tochteratom \(\rm{Y}^+\) "holt" sich aus der Umgebung ein Elektron und wird zum neutralen Tochteratom \(\rm{Y}\).\[{}_{Z + 1}^A{{\rm{Y}}^ + } + {}_{ - 1}^0{{\rm{e}}^ - }\to {}_{Z + 1}^A{\rm{Y}}\]

Diese beiden Reaktionsgleichungen kann man - aber nur formal - zu einer zusammenfassen.

Reaktions-gleichung \[{}_Z^A{\rm{X}}\to{}_{Z + 1}^A{\rm{Y}} + {}_{ - 1}^0{{\rm{e}}^ - } + {}_0^0{\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}\]

\[{}_Z^A{\rm{X}}\to{}_{Z + 1}^A{\rm{Y}} + {}_0^0{{\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}}\]Vorsicht, nur formal!

Q-Wert

Berechnung des \(Q\)-Werts\[\begin{eqnarray} Q_{\rm{\beta^-,K}} &=& \left[ m_{\rm{K}}\left( \rm{X} \right) - \left( m_{\rm{K}}\left( \rm{Y} \right) + m_{\rm{e}} \right) \right] \cdot c^2\\&=& \left[ m_{\rm{K}}\left( \rm{X} \right) - m_{\rm{K}}\left( \rm{Y} \right) - m_{\rm{e}} \right] \cdot c^2 \end{eqnarray}\]Bemerkung: Die Ruhemasse des Anti-Elektron-Neutrinos ist so klein, dass sie vernachlässigt werden kann.

Nun ist die Bindungsenergie \(B_{\rm{e}}\left({\rm{X}} \right)\) der Hüllenelektronen des Mutteratoms kleiner als die Bindungsenergie \(B_{\rm{e}}\left({\rm{Y}} \right)\) der Hüllenelektronen des Tochteratoms. Beim "Umbau" der Atomhüllen wird die Energiedifferenz\[\Delta B_{\rm{e}} = B_{\rm{e}}\left( {\rm{Y}} \right) - B_{\rm{e}} \left( {\rm{X}} \right)\]frei. Diese Energiedifferenz muss zu dem berechneten \(Q_{\beta^- ,{\rm{K}}}\)-Wert addiert werden, um die den Zerfallsprodukten letztendlich zur Verfügung stehende Energie \(Q\) zu berechnen:\[Q = {Q_{\beta^- ,{\rm{K}}}} + \Delta {B_{\rm{e}}}\]

Berechnung des \(Q\)-Werts\[Q=Q_{\rm{\beta^-,A}} = \left[ {{m_{\rm{A}}}\left( {\rm{X}} \right) - {m_{\rm{A}}}\left( {\rm{Y}} \right)} \right] \cdot {c^2}\]Bemerkung: Die Ruhemasse des Anti-Elektron-Neutrinos ist so klein, dass sie vernachlässigt werden kann.

Energie-aufteilung

Aufteilung der frei werdenden Energie nach dem Zerfall\[Q=E_{\rm{kin}}\left( \rm{e^-} \right)+E_{\rm{kin}}\left({\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}\right)+ E_{\rm{kin}}\left( {\rm{Y}} \right)+E^*\left( {\rm{Y}} \right)+E_{\rm{Hülle}}^*\left( {\rm{Y}} \right)\]Dabei ist

  • \(E_{\rm{kin}}\left( \rm{e^-} \right)\) die kinetische Energie des emittierten Elektrons
  • \(E_{\rm{kin}}\left({\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}\right)\) die kinetische Energie des emittierten Anti-Elektron-Neutrinos
  • \(E_{\rm{kin}}\left( {\rm{Y}} \right)\) die kinetische (Rückstoß-)Energie des Tochterkerns
  • \(E^*\left( {\rm{Y}} \right)\) eine eventuelle Anregungsenergie des Tochterkerns; diese wird mit einer sehr kurzen Halbwertszeit in Form eines oder mehrerer \(\gamma\)-Quanten abgegeben.
  • \(E_{\rm{Hülle}}^*\left( {\rm{Y}} \right)\) eine eventuelle Anregung der Elektronenhülle des Tochteratoms; diese Energie wird mit einer sehr kurzen Halbwertszeit in Form von charakteristischer RÖNTGEN-Strahlung des Tochteratoms oder aber Elektronen, die die Atomhülle des Tochteratoms verlassen (sogenannter AUGER-Elektronen) abgegeben. Bei Rechnungen in der Schule wird \(E_{\rm{Hülle}}^*\left( {\rm{Y}} \right)\) vernachlässigt.

Hinweis

Bei der Berechnung des \(Q\)-Wertes mit Kernmassen kann es geschehen, dass sich bei der Rechnung ein negativer Wert für den Massendefekt ergibt und damit der Beta-Minus-Zerfall gar nicht möglich erscheint. Der Beta-Minus-Zerfall kann hier nur geschehen, weil durch den Umbau der Elektronenhülle zusätzliche Energie frei wird.

Beispiel 1: Beta-Minus-Zerfall von Sc-47

Tab. 2 Berechnung des \(Q\)-Wertes beim \(\beta^-\)-Zerfall von \(_{21}^{47}{\rm{Sc}}\)
  Überlegung mit Kernen Überlegung mit Atomen
Reaktions-gleichung \[_{21}^{47}{\rm{Sc}}\to\;_{22}^{47}{\rm{Ti}}+ {}_{ - 1}^0{{\rm{e}}^ - } + {}_0^0{\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}\] \[_{21}^{47}{\rm{Sc}}\to\;_{22}^{47}{\rm{Ti}}+ {}_0^0{\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}\]Vorsicht, nur formal!
Massen

\(m_{\rm{K}}\left(_{21}^{47}{\rm{Sc}}\right)=46{,}940903072\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{K}}\left(_{22}^{47}{\rm{Ti}}\right)=46{,}939711896\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{e}}=5{,}48580 \cdot 10^{-4}\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{A}}\left(_{21}^{47}{\rm{Sc}}\right)=46{,}952402704\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{A}}\left(_{22}^{47}{\rm{Ti}}\right)=46{,}951757752\,\rm{u}\)

Q-Wert

\[\begin{eqnarray}Q_{\rm{\beta^-,K}} &=& \Delta m \cdot c^2\\ &=& \left[ m_{\rm{K}} \left( {_{21}^{47}{\rm{Sc}}} \right) - \left( m_{\rm{K}} \left( {_{22}^{47}{\rm{Ti}}} \right) + m_{\rm{e}} \right) \right] \cdot c^2\\ &=& \left[ m_{\rm{K}} \left( {_{21}^{47}{\rm{Sc}}} \right) - {m_{\rm{K}}}\left( {_{22}^{47}{\rm{Ti}}} \right) - m_{\rm{e}} \right] \cdot c^2\\ &=& \left[ 46{,}940903072\,\rm{u} - 46{,}939711896\,\rm{u} - 5{,}48580 \cdot 10^{-4}\,\rm{u} \right] \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}000642596 \cdot {\rm{u}} \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}000642596 \cdot 931{,}49\,{\rm{MeV}}\\ &=& 598{,}6\,{\rm{keV}}\end{eqnarray}\]Hierzu muss die Differenz \(\Delta {B_{\rm{e}}}=2{,}2\,\rm{keV}\) der Bindungsenergien der Hüllenelektronen von \({_{22}^{47}{\rm{Ti}}}\) und \({_{21}^{47}{\rm{Sc}}}\) addiert werden, so dass nach dieser Rechnung eine Energie von \(600{,}8\,{\rm{keV}}\) frei wird.

\[\begin{eqnarray}Q=Q_{\rm{\beta^-,A}} &=& \Delta m \cdot c^2\\ &=& \left[ m_{\rm{A}} \left( {_{21}^{47}{\rm{Sc}}} \right) -  m_{\rm{A}} \left( {_{22}^{47}{\rm{Ti}}} \right)  \right] \cdot c^2\\ &=& \left[ 46{,}952402704\,\rm{u} - 46{,}951757752\,\rm{u} \right] \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}000644952 \cdot {\rm{u}} \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}000644952 \cdot 931{,}49\,{\rm{MeV}}\\ &=& 600{,}8\,{\rm{keV}}\end{eqnarray}\]

Energie-aufteilung

Eine mögliche Aufteilung der frei werdenden Energie:

\(E_{\rm{kin}}\left( \rm{e^-} \right)=440{,}9\,\rm{keV}\)

\(E_{\rm{kin}}\left({\rm{\bar \nu }}_{\rm{e}}\right)=0{,}5\,{\rm{keV}}\)

\(E_{\rm{kin}}\left( {_{22}^{47}{\rm{Ti}}} \right)<0{,}01\,{\rm{keV}}\)

\(E^*\left({_{22}^{47}{\rm{Ti}}}\right)=159{,}4\,\rm{keV}\)

Beispiel 2: Beta-Minus-Zerfall von Re-187

Tab. 2 Berechnung des \(Q\)-Wertes beim \(\beta^-\)-Zerfall von \(_{75}^{187}{\rm{Re}}\)
  Überlegung mit Kernen Überlegung mit Atomen
Reaktions-gleichung \[_{75}^{187}{\rm{Re}} \to \;_{76}^{187}{\rm{Os}} + _{ - 1}^0{{\rm{e}}^ - } + _0^0{\bar \nu _{\rm{e}}}\] \[_{75}^{187}{\rm{Re}} \to \;_{76}^{187}{\rm{Os}} + _0^0{\bar \nu _{\rm{e}}}\]Vorsicht, nur formal!
Massen

\(m_{\rm{K}}\left(_{75}^{187}{\rm{Re}}\right)=186{,}915009\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{K}}\left(_{76}^{187}{\rm{Os}}\right)=186{,}914471\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{e}}=5{,}4858 \cdot 10^{-4}\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{A}}\left(_{75}^{187}{\rm{Re}}\right)=186{,}955752\,\rm{u}\)

\(m_{\rm{A}}\left(_{76}^{187}{\rm{Os}}\right)=186{,}955750\,\rm{u}\)

Q-Wert

\[\begin{eqnarray}Q_{\rm{\beta^-,K}} &=& \Delta m \cdot c^2\\ &=& \left[ m_{\rm{K}} \left( {_{75}^{187}{\rm{Re}}} \right) - \left( m_{\rm{K}} \left( {_{76}^{187}{\rm{Os}}} \right) + m_{\rm{e}} \right) \right] \cdot c^2\\ &=& \left[ m_{\rm{K}} \left( {_{75}^{187}{\rm{Re}}} \right) - {m_{\rm{K}}}\left( {_{76}^{187}{\rm{Os}}} \right) - m_{\rm{e}} \right] \cdot c^2\\ &=& \left[ 186{,}915009\,\rm{u} - 186{,}914471\,\rm{u} - 5{,}4858 \cdot 10^{-4}\,\rm{u} \right] \cdot {c^2}\\ &=& -0{,}00001058 \cdot {\rm{u}} \cdot {c^2}\\ &=& -0{,}00001058 \cdot 931{,}49\,{\rm{MeV}}\\ &=& -9{,}9\,{\rm{keV}}\end{eqnarray}\]Hierzu muss die Differenz \(\Delta {B_{\rm{e}}}=11{,}7\,\rm{keV}\) der Bindungsenergien der Hüllenelektronen von \({_{76}^{187}{\rm{Os}}}\) und \({_{75}^{187}{\rm{Re}}}\) addiert werden, so dass nach dieser Rechnung eine Energie von \(1{,}8\,{\rm{keV}}\) frei wird.

\[\begin{eqnarray}Q_{\rm{\beta^-,A}} &=& \Delta m \cdot c^2\\ &=& \left[ m_{\rm{A}} \left( {_{75}^{187}{\rm{Re}}} \right) -  m_{\rm{A}} \left( {_{76}^{187}{\rm{Os}}} \right)  \right] \cdot c^2\\ &=& \left[ 186{,}955752\,\rm{u} - 186{,}955750\,\rm{u} \right] \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}000002 \cdot {\rm{u}} \cdot {c^2}\\ &=& 0{,}000002 \cdot 931{,}49\,{\rm{MeV}}\\ &=& 1{,}8\,{\rm{keV}}\end{eqnarray}\]

 

Hinweis: Die hier angegebenen Atommassen wurden der AME2016 des AMDC-Atomic Mass Data Center entnommen. Die hier angegebenen Kernmassen wurden berechnet aus den Atommassen abzüglich der Masse der Elektronen zuzüglich der nach dem THOMAS-FERMI-Modell angenäherten Bindungsenergie der Elektronen.