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Aufgabe

Anwendungen eines Krypton-Isotops (Abitur BY 2010 LK A4)

Schwierigkeitsgrad: schwere Aufgabe

1. ß--Zerfall von \(^{85}\rm{Kr}\)

a)Erläutern Sie kurz die Vorgänge im Atomkern beim ß--Zerfall. Warum konnte Wolfgang Pauli anhand des ß--Zerfalls auf die Existenz eines weiteren Teilchens schließen? (4 BE)

b)Geben Sie die Zerfallsgleichung für den ß--Zerfall von \(^{85}\rm{Kr}\) an und bestimmen Sie die dabei frei werdende Energie \(Q\). [zur Kontrolle: \(Q=0{,}69\,\rm{MeV}\)] (4 BE)

c)Mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,4% befindet sich der Tochterkern in einem angeregten Zustand der Energie \(E=0{,}51\,\rm{MeV}\), der innerhalb kurzer Zeit durch Emission eines γ-Quants in den Grundzustand übergeht. Zeichnen Sie das Energieniveauschema für den Zerfall von \(^{85}\rm{Kr}\) und berechnen Sie die Wellenlänge des γ-Quants. (4 BE)

2. \(^{85}\rm{Kr}\) in der Qualitätssicherung bei der Papierherstellung

Bei der Papierherstellung wird die Dicke des Papiers kontrolliert, indem man es z.B. laufend mit größerer Geschwindigkeit (Größenordnung: einige m/s) zwischen dem \(^{85}\rm{Kr}\)-Präparat und einem Detektor hindurchführt. Zunächst muss der Detektor kalibriert werden. Dazu werden Messungen mit Papier bekannter Dicke durchgeführt. Der Nulleffekt beträgt \(19\,\rm{min}^{-1}\).

Dicke \(d\) in \(\rm{mm}\) 0 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50
Zählrate \(Z\) in \(\rm{min}^{-1}\) 231 189 136 115 95 74

 

a)Begründen Sie mithilfe eines Prozesses auf atomarer Ebene, dass die registrierte Zählrate mit zunehmender Papierdicke abnimmt. (3 BE)

b)Begründen Sie, dass man den Anteil der γ-Strahlung (vgl. Teilaufgabe 1c) an der Zählrate vernachlässigen kann. (2 BE)

c)Für die Zählrate der ß--Strahlung gilt bei kleinen Papierdicken d näherungsweise ein Absorptionsgesetz der Form \(z(d) = {z_0} \cdot {e^{ - \mu  \cdot d}}\). Weisen Sie diesen Zusammenhang nach und bestimmen Sie den Absorptionskoeffizienten μ. [zur Kontrolle: μ = 2,6mm-1] (6 BE)

d)Man möchte Papier der Dicke \(d=0{,}13\,\rm{mm}\) herstellen. Welche Zählrate ist zu erwarten? (3 BE)

e)Begründen Sie, warum das obige Verfahren ungeeignet ist, lokale Schwankungen der Dicke zuverlässig zu registrieren. Mit welcher Zielsetzung kann es dennoch eingesetzt werden? (5 BE)

f)Eine Kunde befürchtet, dass er sich durch den Kauf dieses so getesteten Papiers erhöhter ß--Strahlung aussetzt. Erklären Sie, warum seine Befürchtungen unbegründet sind. (4 BE)

 

3. \(^{85}\rm{Kr}\) als Indikator für weltweite Wiederaufarbeitungsaktivitäten

Bei der Spaltung von \(^{235}\rm{U}\) in Kernkraftwerken entsteht \(^{85}\rm{Kr}\), das zunächst in den Brennstäben verbleibt, jedoch bei der Wiederaufarbeitung in die Atmosphäre gelangt. Da andere Entstehungsquellen vernachlässigbar sind, kann \(^{85}\rm{Kr}\) als Indikator für Wiederaufarbeitungsaktivitäten verwendet werden. Tatsächlich wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz der nebenstehende zeitliche Verlauf der \(^{85}\rm{Kr}\)-Aktivität gemessen. Die Spitzen im Diagramm sind auf kurzfristige, Wetter bedingte Phänomene zurückzuführen.

a)Die Kr-Aktivität von 1m3 Luft betrug im Jahr 2007 weltweit etwa \(1{,}5\,\rm{Bq}\). Schätzen Sie daraus die Anzahl \(N_{\rm{Kr}}\) der in diesem Jahr in der Atmosphäre zerfallenen \(^{85}\rm{Kr}\)-Kerne ab. Gehen Sie hierzu von einer 10 km hohen Erdatmosphäre konstanter Dichte und einer Gleichverteilung von \(^{85}\rm{Kr}\) aus. [zur Kontrolle: \(N_{\rm{Kr}}=2{,}4\cdot 10^{26}\)] (6 BE)

b)Ein typischer Brennstab ist mit etwa 3,3% \(^{235}\rm{U}\) angereichert, von dem während der Verweildauer im Reaktor drei Viertel gespalten werden. Nur bei 0,27% der Spaltreaktionen entsteht ein \(^{85}\rm{Kr}\)-Kern. Schätzen Sie unter der Annahme, dass die \(^{85}\rm{Kr}\)-Aktivität zeitlich konstant bleibt, die weltweit jährlich wiederaufbereitete Masse an Uran aus Brennstäben ab. (7 BE)

c)Wie ändert sich langfristig der \(^{85}\rm{Kr}\)-Gehalt in der Atmosphäre? Diskutieren Sie die Abschätzung aus Teilaufgabe 3b) im Hinblick auf die Änderung. (4 BE)

d)In Europa sind nur in Frankreich und Großbritannien Wiederaufbereitungsanlagen in Betrieb. Begründen Sie damit das Auftreten der Spitzen im Diagramm. (4 BE)

e)Skizzieren Sie qualitativ den zukünftig zu erwartenden Verlauf der \(^{85}\rm{Kr}\)-Aktivität für folgende Szenarien und begründen Sie Ihre Diagramme:
Die Wiederaufbereitung der Kernbrennstäbe
(1) endet weltweit sofort,
(2) hat ab sofort den in Teilaufgabe 3b) berechneten konstanten Wert. (4 BE)

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1. ß--Zerfall von \(^{85}\rm{Kr}\)

a)Beim ß--Zerfall wird im Kern ein Neutron in ein Proton umgewandelt und dabei ein Elektron emittiert. Neben dem Elektron entsteht bei diesem Vorgang auch noch ein Antineutrino:\[{}_0^1n \to {}_1^1p + {}_{ - 1}^0{e^ - } + {}_0^0\overline \nu  \] Ähnlich wie beim Alpha-Zerfall ist auch beim ß--Zerfall davon auszugehen, dass der Zerfall bei einem diskreten Energieniveau des Mutterkerns beginnt und ebenso bei einer diskreten Energiestufe des Tochterkerns endet. Demnach würde man ein diskretes Energiespektrum der ß- -Teilchen erwarten. Tatsächlich ergibt sich jedoch ein kontinuierliches Energiespektrum der ß- -Teilchen, welches Pauli dadurch erklärte, dass beim Zerfall noch ein drittes Teilchen, das Antineutrino, auftritt. Energie und Impuls verteilen sich auf drei Teilchen, das kontinuierliche ß- -Spektrum wird erklärbar.

b)Die Zerfallsgleichung lautet\[{}_{36}^{85}\rm{Kr} \to {}_{37}^{85}\rm{Rb} + {}_{ - 1}^0{e^ - } + {}_0^0\overline \nu  \]Berechnung der Reaktionsenergie aus den Atommassen: \[\begin{array}{l}Q = \left[ {{m_{0,a}}\left( {{}_{36}^{85}\rm{Kr}} \right) - {m_{0,a}}\left( {{}_{37}^{85}\rm{Rb}} \right)} \right] \cdot {c^2} \Rightarrow Q = \left[84{,}912527 - 84{,}911790 \right] \cdot u \cdot {c^2}\\Q = \left[ 0{,}000737 \right] \cdot 931{,}49\,\rm{MeV} \approx 0{,}69\,\rm{MeV}\end{array}\]

c)\[\begin{array}{l}{E_\gamma } = \frac{{h \cdot c}}{\lambda } \Rightarrow \lambda  = \frac{{h \cdot c}}{{{E_\gamma }}}\\\lambda  = \frac{{4,14 \cdot 1{0^{ - 15}} \cdot 3,0 \cdot 1{0^8}}}{{0,51 \cdot {{10}^6}}}\,\rm{m} \approx 2{,}4 \cdot {10^{ - 12}}\,\rm{m}\end{array}\]

 

2. \(^{85}\rm{Kr}\) in der Qualitätssicherung bei der Papierherstellung

a)Die Elektronen ändern bei der Streuung an den Atomen ihre Bewegungsrichtung. Die Elektronen verlieren durch Vielfach-Ionisation ihre gesamte kinetische Energie.

b)Gammazerfall findet nur im Anschluss an den niederenergetischen in 0,4% aller Fälle statt. D.h. in nur jedem 250. Zerfall tritt ein Gammaquant auf. Bei einer maximalen Zählrate von 231min-1 würde sich durch den Gammazerfall die Rate um ca. 1min-1 erhöhen. Dies ist deutlich weniger als der Nulleffekt von \(19\,\rm{min}^{-1}\).

c)Berechnung des Absorptionskoeffizienten für die verschiedenen Dicken: \[z(d) = {z_0} \cdot {e^{ - \mu  \cdot d}} \Rightarrow \frac{{z(d)}}{{{z_0}}} = {e^{ - \mu  \cdot d}} \Rightarrow \ln \left( {\frac{{z(d)}}{{{z_0}}}} \right) =  - \mu  \cdot d \Rightarrow \mu  =  - \frac{{\ln \left( {{\textstyle{{z(d)} \over {{z_0}}}}} \right)}}{d}\]

Dicke \(d\) in \rm{mm}\) 0 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50

Zählrate \(Z\) in \(\rm{min}^{-1}\)

231 189 136 115 95 74
Zählrate \(Z-Z_{\rm{null}}\) in \(\rm{min}^{-1}\) 212 170 117 96 76 55
\(\mu\) in \(\rm{mm}^{-1}\) --- 2,2 3,0 2,6 2,6 2,7

Als Mittelwert für die Messungen ergibt sich \(\mu= 2{,}6\,\rm{mm}^{-1}\).

d)Die Zählrate ergibt sich aus\[z(d) = {z_0} \cdot {e^{ - \mu \cdot d}} \Rightarrow z(0{,}13\,\rm{mm}) = 212 \cdot {e^{ - 2{,}6 \cdot 0{,}13}}{\rm{min}^{-1}} \approx 151\,{\rm{min}^{-1}}\] Addiert man noch den Nulleffekt dazu, so ergibt sich für die zu erwartende Zählrate \(170\,\rm{min}^{-1}\).

e)Selbst unter der idealisierten Annahme einer konstanten Zerfallsrate ist der zeitliche Abstand zwischen zwei Zerfällen so groß, dass lokale Schwankungen wegen der großen Papiergeschwindigkeit nicht wahrgenommen werden können.Hinzu kommt der statistische Charakter des radioaktiven Zerfalls. Das Verfahren ist jedoch geeignet, dauerhafte Dickenänderungen während des Produktionsprozesses zu registrieren, das sich die Zählrate dann langfristig ändert.

f)Die Elektronen, die nur gestreut oder geringfügig abgebremst wurden, haben das Papier längst verlassen, diejenigen, die im Papier absorbiert wurden, haben keine ionisierende Wirkung mehr.

3. \(^{85}\rm{Kr}\) als Indikator für weltweite Wiederaufarbeitungsaktivitäten

a)Abschätzung des Volumens der Atmosphäre: \[{V_{Atmos}} \approx 4 \cdot \pi  \cdot r_{Erde}^2 \cdot h \Rightarrow {V_{Atmos}} \approx 4 \cdot \pi  \cdot {\left( {6368 \cdot 1{0^3}} \right)^2} \cdot 10 \cdot 1{0^3}{\rm{m}^3} \approx 5{,}1 \cdot {10^{18}}\,{\rm{m}^3}\] Für die Zahl der in einem Jahr zerfallenden Krypton-Kerne gilt: \[{N_{Kr}} = {V_{atmos}} \cdot {A_{Kr}} \cdot \Delta t \Rightarrow {N_{Kr}} = 5{,}1 \cdot {10^{18}} \cdot 1{,}5 \cdot 1 \cdot 365 \cdot 24 \cdot 3600\rm{\frac{{{m^3} \cdot s}}{s}} \approx 2{,}4 \cdot {10^{26}}\]

b)Für den Zusammenhang zwischen der Zahl der wiederaufbereiteten U-Atome (Gemisch aus 96,7% 238U und 3,3% 235U) und den vorhandenen Krypton-Atomen gilt: \[\begin{array}{l}{N_{Kr}} = 0{,}0027 \cdot \frac{3}{4} \cdot 0{,}033 \cdot {N_U} \Rightarrow {N_U} = \frac{{{N_{Kr}}}}{{0{,}0027 \cdot \frac{3}{4} \cdot 0{,}033}}\\{N_U} = \frac{{2{,}4 \cdot {{10}^{26}}}}{{0{,}0027 \cdot \frac{3}{4} \cdot 0{,}033}} \approx 3{,}6 \cdot {10^{30}}\end{array}\] Für die Masse des jährlich wiederaufbereiteten Urans gilt: \[{m_U} = {N_U} \cdot {m_a}(U) \Rightarrow {m_U} = 3{,}6 \cdot {10^{30}} \cdot 238 \cdot u \approx 1{,}4 \cdot {10^6}\,\rm{kg}\]

c)Der langfristige Trend zeigt eine Zunahme der 85Kr-Aktivität an. Der 85Kr-Gehalt der Atmosphäre steigt also an. Daraus kann man schließen, dass die jährlich wiederaufbereitete Masse an Uran über dem in Teilaufgabe 3b abgeschätzten Wert liegt.

d)Bei bestimmten Windrichtungen erreicht uns die mit 85Kr angereicherte Luft aus einer der Wiederaufbereitungsanlagen, bevor eine Durchmischung in der Atmosphäre stattfinden kann. Deshalb treten diese Spitzen in der 85Kr-Aktivität bei uns auf.

e)(1) Die Krypton-Aktivität würde mit der Zeit exponentiell absinken;
(2) Die Krypton-Aktivität würde mit der Zeit konstant bleiben;

Hinweis: Die hier angegebenen Atommassen wurden der AME2016 des AMDC-Atomic Mass Data Center entnommen.

Grundwissen zu dieser Aufgabe

Kern-/Teilchenphysik

Radioaktivität - Fortführung