Um neue radioaktive Substanzen zu erzeugen, bestrahlten Forscher in mehreren Laboratorien Europas ab Mitte der Dreißiger Jahre Uran mit Neutronen. In Berlin verwendeten Otto HAHN und Fritz STRASSMANN dabei als Neutronenquelle ein sieben Zentimeter langes und knapp einen Zentimeter dickes Röhrchen, das mit einem Gemisch aus Beryllium-Pulver und \(1{,}0\,{\rm{g}}\) pulverförmigem \({}^{226}{\rm{Ra}}\) gefüllt war. Ein Teil der vom \({}^{226}{\rm{Ra}}\) abgegebenen α-Teilchen reagiert mit den Beryllium-Atomen unter Aussendung von Neutronen. HAHN und STRASSMANN ummantelten ihre Neutronenquelle mit einem zylindrischen Paraffinblock, an dessen Außenseite sie ein Papiertütchen mit \(15\,{\rm{g}}\) Uran stellten, das \(30{\rm{min}}\) lang dem Bombardement der Neutronen ausgesetzt wurde. Um die dabei entstandenen radioaktiven Substanzen zu identifizieren, wurde die Uranprobe nach der Bestrahlung mit Hilfe eines Geiger-Müller-Zählers untersucht.
Ende 1938 kamen HAHN und STRASSMANN durch diese Messungen und durch chemische Analysen der Proben zu einem erstaunlichen Ergebnis, das allen Erwartungen widersprach: Sie fanden in der Probe keine Elemente, die schwerer als Uran ("Transurane") sind, sondern das mittelschwere Element Barium.
Lise MEITNER und Otto FRISCH erkannten bald darauf, dass durch den Neutronenbeschuss \({}_{}^{235}{\rm{U}}\)-Kerne gespalten worden waren. Zum Beispiel können aus einem \({}_{}^{235}{\rm{U}}\)-Kern nach dem Einfang eines thermischen Neutrons die Nuklide \({}_{}^{140}{\rm{Ba}}\) (Atommasse \(139{,}910607{\rm{u}}\)) und \({}_{}^{93}{\rm{Kr}}\) (Atommasse \(92{,}931147{\rm{u}}\)) sowie einige freie Neutronen entstehen.
a)Stelle die Reaktionsgleichung für diese Kernspaltung auf.
Berechne die frei werdende Energie \(Q\).
Berechne, welche Masse an \({}_{}^{235}{\rm{U}}\) gespalten werden muss, um eine Energie von \(1{,}0\,{\rm{kWh}}\) freizusetzen, wenn man annimmt, dass alle Spaltreaktionen nach derselben Reaktionsgleichung stattfinden und Folgeprozesse außer Betracht bleiben. [zur Kontrolle: \(Q = 172\,{\rm{MeV}}\)] (8 BE)
MEITNER und FRISCH entwickelten das folgende Modell für das Auseinanderbrechen des Urankerns: Von dem Moment an, in dem sich die Spaltprodukte \({}_{}^{140}{\rm{Ba}}\) und \({}_{}^{93}{\rm{Kr}}\) gerade nicht mehr berühren, werden sie aufgrund ihrer elektrischen Abstoßung auseinandergetrieben.
b)Berechne gemäß dieser Modellvorstellung die kinetische Energie, die die beiden Spaltprodukte zusammen erhalten, während sie sich voneinander entfernen.
Bestätige damit, dass der erhaltene Wert in grober Näherung mit dem in Teilaufgabe a) berechneten \(Q\)-Wert übereinstimmt. (Für den Radius \(r\) eines Kernes mit der Massenzahl \(A\) gilt: \(r = 1{,}4 \cdot {10^{ - 15}}{\rm{m}} \cdot \sqrt[3]{A}\)). (8 BE)