Zerlegt man einen Kern, bestehend aus \(Z\) Protonen und \(N\) Neutronen, in seine Bestandteile und sind die Kernbausteine (Nukleonen) soweit voneinander entfernt, dass weder die elektrische Abstoßungskraft zwischen den Protonen noch die starke Kernkraft zwischen den Nukleonen eine Rolle spielen, so ist die Gesamtenergie \(E_{\rm{vor}}\) der Bausteine nach der EINSTEIN'schen Masse-Energie-Beziehung zu berechnen:\[{E_{\rm{vor}}} = \left( {Z \cdot m\left( {{}_1^1\rm{p}} \right) + N \cdot m\left( {{}_0^1\rm{n}} \right)} \right) \cdot {c^2}\]Baut man die Nukleonen zu einem Kern \(\rm{X}\) zusammen, so verliert das System aufgrund der anziehenden Kräfte zwischen Nukleonen an Energie, die Gesamtenergie nach dem Zusammenbau \(E_{\rm{nach}}\) wird nun kleiner sein. Wegen der Äquivalenz von Masse und Energie wird auch die Masse \(m_k\) des Kerns kleiner sein als die Summe der Massen der Einzelbausteine. Für \(E_{\rm{nach}}\) gilt\[{E_{\rm{nach}}} = m\left( {{}_{Z\;\;}^{Z + N}\rm{X}} \right) \cdot {c^2}\]Je stärker die Bindungskräfte zwischen den zum Kern zusammengefügten Nukleonen sind, desto kleiner wird der Betrag von \(E_{\rm{nach}}\) ausfallen.
Die Energiedifferenz \(E_{\rm{vor}}-E_{\rm{nach}}\) wird als Bindungsenergie \(B\) des Kerns bezeichnet. Es gilt\[B = {E_{\rm{vor}}} - {E_{\rm{nach}}} = \left( {Z \cdot m\left( {_1^1p} \right) + N \cdot m\left( {_0^1n} \right)} \right) \cdot {c^2} - m\left( {{}_{Z\;\;}^{Z + N}X} \right) \cdot {c^2} = \left( {Z \cdot m\left( {_1^1p} \right) + N \cdot m\left( {_0^1n} \right) - m\left( {{}_{Z\;\;}^{Z + N}\rm{X}} \right)} \right) \cdot {c^2}\]Wie du in Artikel zur EINSTEIN'schen Beziehung gelernt hast, ist der Ausdruck in der eckigen Klammer aber gerade der Massendefekt \(\Delta m\). Somit gilt:
Bindungsenergie
Die Bindungsenergie \(B\) ist die beim Zusammenbau eines Kerns aus seinen Einzelbausteinen freiwerdende Energie. Sie hat ein positives Vorzeichen (exothermer Vorgang) und den Wert\[B = \Delta m \cdot {c^2}\]Unter der mittleren Bindungsenergie pro Nukleon versteht man die Bindungsenergie bezogen auf ein Nukleon. Die mittlere Bindungsenergie hat den Wert \(\frac{B}{A}\). Dabei ist \(A\) die Nukleonen- oder auch Massezahl.
Hinweis: Beim Berechnen von Bindungsenergien benötigst du häufig den Wert \(1\,\rm{u} \cdot {c^2}\) in der Maßeinheit \({\rm{eV}}\). Hierfür gilt\[1\,{\rm{u}} \cdot {c^2} = {1{,}66054 \cdot {10^{ - 27}}\,{\rm{kg}} \cdot {\rm{ }}{\left( {2{,}99792 \cdot {{10}^8}\,\frac{{\rm{m}}}{{\rm{s}}}} \right)^2}} = {1{,}49241 \cdot {10^{ - 10}}\,{\rm{J}}} = {\frac{{1{,}49241 \cdot {{10}^{ - 10}}}}{{1{,}60218 \cdot {{10}^{ - 19}}}}\,{\rm{eV}}} = {9{,}3149 \cdot {10^8}\,{\rm{eV}}} ={ 931{,}49\,{\rm{MeV}}}\]
Aufgabe
Bindungsenergie des Deuterons
Berechne den Massendefekt und die Bindungsenergie des Deuterons, also eines Wasserstoffisotop mit einem Proton und einem Neutron im Kern.
Es ist \({m_{\rm{A}}}(_1^1{\rm{p}}) = 1{,}007276\,{\rm{u}}\), \({m_{\rm{A}}}\left( {_0^1{\rm{n}}} \right) = 1{,}008665\,{\rm{u}}\) und \({m_{\rm{A}}}\left( {_1^2{\rm{H}}} \right) = 2{,}0135536\,{\rm{u}}\)
Berechne mit Hilfe der Lösung der vorherigen Aufgabe die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon im Deuteron.
Diagramm der mittleren Bindungsenergie pro Nukleon
Man kann nun - wie bei der obigen Aufgabe - für alle stabilen Kerne die Bindungsenergien ausrechnen. Will man wissen, wie stark ein Nukleon an einen Kern gebunden ist, so bietet sich als ungefähres Maß die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon \(\frac{B}{A}\) bei dem jeweiligen Kern an. In der folgenden Abbildung ist \(\frac{B}{A}\) über der Nukleonenzahl \(A\) aufgetragen.
Die Bindungsenergie pro Nukleon schwankt bei kleinen Massenzahlen stark. Sie weist bei He-4 ein ausgeprägtes relatives Maximum (höchster Punkt im Vergleich zur unmittelbaren Umgebung) auf. Ähnliches gilt z.B. auch für O-16. Bei etwa \(A = 56\) (Eisen) erreicht die Bindungsenergie pro Nukleon ihren größten Wert, um dann zu schwereren Kernen hin wieder abzufallen. Dieser Rückgang der mittleren Bindungsenergie ist auf die langreichweitigen, abstoßenden elektrischen Kräfte zwischen den Protonen zurückzuführen. Im Allgemeinen besitzt der schwerere Kern die höhere Bindungsenergie, da er mehr Nukleonen besitzt und bei jedem Einbau eines Nukleons in einen stabilen Kern Energie frei wird, was zu einer höheren Bindungsenergie führt.
Merke: Liegen die Endprodukte einer Reaktion im \(A\)-\(\frac{B}{A}\)-Diagramm höher als die Ausgangsprodukte, so ist die Reaktion exotherm.