Direkt zum Inhalt

Versuche

Neutronenmasse aus Stoßversuchen

Abb. 1 Prinzipielle Vorgänge bei der Bestimmung der Neutronenmasse aus Stoßversuchen und in der Rechnung genutzten Bezeichnungen

Beim Beschuss von Beryllium mit Alphateilchen kommt es zur Emission von Neutronen. Der Neutronenbildung liegt die Reaktionsgleichung\[{}_4^9{\rm{Be}} + {}_2^4{\rm{He}} \to {}_6^{12}{\rm{C}} + {}_0^1{\rm{n}} + \gamma \]zu Grunde.

Die emittierten Neutronen können beim Stoß mit anderen Kernen diese in Bewegung versetzen; man nennt diese bewegten Kerne dann oft Rückstoßkerne. Aus den Spurlängen in einer Nebelkammer kann man die kinetische Energie dieser Rückstoßkerne abschätzen.

Wir benutzen folgende Bezeichnungen:

\({v_{\rm{n}}}\): Betrag der Geschwindigkeit des Neutrons vor dem Stoß

\({v_{\rm{K}}} = 0\): Betrag der Geschwindigkeit des Kerns vor dem Stoß (der gleich \(0\) ist)

\({{v'}_{\rm{n}}}\): Betrag der Geschwindigkeit des Neutrons nach dem Stoß

\({{v'}_{\rm{K}}}\): Betrag der Geschwindigkeit des Kerns nach dem Stoß.

Um die Masse des Neutrons mn bestimmen zu können, geht man im einfachsten Fall von einem zentralen elastischen Stoß des Neutrons mit einem ruhenden Kern K der Masse mk aus. In diesem Fall kann man den Energie- und Impulserhaltungssatz wie folgt ansetzen:

Energiesatz (nicht relativistisch): \[\frac{1}{2} \cdot {m_n} \cdot {v_n}^2 = \frac{1}{2} \cdot {m_n} \cdot {v'_n}^2 + \frac{1}{2} \cdot {m_{\rm{K}}} \cdot {v'_{\rm{K}}}^2 \Leftrightarrow {m_n} \cdot \left( {{v_n}^2 - {{v'}_n}^2} \right) = {m_{\rm{K}}} \cdot {v'_{\rm{K}}}^2 \quad(1)\]
 
Impulssatz: \[{m_n} \cdot {v_n} = {m_n} \cdot {{v'}_n} + {m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}} \Leftrightarrow {m_n} \cdot \left( {{v_n} - {{v'}_n}} \right) = {m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}}\quad(2)\]

In diesen beiden Gleichungen sind die drei Größen mn, vn und v'n unbekannt, während die Größen mk und v´k als gegeben vorausgesetzt werden dürfen (die Gasfüllung der Nebelkammer legt die Art des Rückstoßkernes fest, die Spurlänge gibt Aufschluss über die kinetische Energie und damit die Geschwindigkeit des Rückstoßkerns v´k. Um zu einer Bestimmung von mn zu gelangen reichen also diese beiden Gleichungen für eine Sorte von Rückstoßkernen nicht aus. Wie Sie sehen werden kommt man jedoch zu einer Lösung, wenn man die Betrachtung auf zwei verschiedene Sorten von Rückstoßkernen ausdehnt. Vorher sollen aber noch einige algebraische Umformungen durchgeführt werden:

Dividiert man \((1)\) durch \((2)\), so erhält man\[\frac{{{m_n} \cdot \left( {{v_n}^2 - {{v'}_n}^2} \right)}}{{{m_n} \cdot \left( {{v_n} - {{v'}_n}} \right)}} = \frac{{{m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}}^2}}{{{m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}}}} \Leftrightarrow \frac{{{m_n} \cdot \left( {{v_n} - {{v'}_n}} \right) \cdot \left( {{v_n} + {{v'}_n}} \right)}}{{{m_n} \cdot \left( {{v_n} - {{v'}_n}} \right)}} = \frac{{{m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}}^2}}{{{m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}}}} \Leftrightarrow {v_n} + {{v'}_n} = {{v'}_{\rm{K}}} \Leftrightarrow {{v'}_n} = {{v'}_{\rm{K}}} - {v_n}\]Setzt man diese Beziehung in \((2)\) ein, so ergibt sich\[{m_n} \cdot \left( {{v_n} - \left( {{{v'}_{\rm{K}}} - {v_n}} \right)} \right) = {m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}} \Leftrightarrow {m_n} \cdot \left( {2 \cdot {v_n} - {{v'}_{\rm{K}}}} \right) = {m_{\rm{K}}} \cdot {{v'}_{\rm{K}}} \Leftrightarrow {{v'}_{\rm{K}}} = \frac{{2 \cdot {m_n}}}{{{m_n} + {m_{\rm{K}}}}} \cdot {v_n}\]Als Rückstoßkerne werden nun einmal Protonen (Wasserstoffkerne mit mp = 1u) und Stickstoffkerne (mN = 14u) betrachtet. Aus der letzten Beziehung für die Geschwindigkeit des Rückstoßkerns ergibt sich dann\[\left. \begin{array}{l}{{v'}_{\rm{p}}} = \frac{{2 \cdot {m_n}}}{{{m_n} + {m_{\rm{p}}}}} \cdot {v_n}\\{{v'}_{\rm{N}}} = \frac{{2 \cdot {m_n}}}{{{m_n} + {m_{\rm{N}}}}} \cdot {v_n}\end{array} \right\} \Rightarrow \frac{{{{v'}_{\rm{p}}}}}{{{{v'}_{\rm{N}}}}} = \frac{{\frac{{2 \cdot {m_n}}}{{{m_n} + {m_{\rm{p}}}}} \cdot {v_n}}}{{\frac{{2 \cdot {m_n}}}{{{m_n} + {m_{\rm{N}}}}} \cdot {v_n}}} = \frac{{{m_n} + {m_{\rm{N}}}}}{{{m_n} + {m_{\rm{p}}}}}(3)\]Erweitert man die Gleichung \((3)\) so, dass im Bruch der linken Gleichungsseite die aus dem Versuch bekannten kinetischen Energien der Rückstoßkerne auftreten (E'kin,p : E'kin,N = 5,7 : 1,2), so ergibt sich\[\frac{{{{E'}_{{\rm{kin}}{\rm{,p}}}}}}{{{{E'}_{{\rm{kin}}{\rm{,n}}}}}} = \frac{{\frac{1}{2} \cdot {m_{\rm{p}}} \cdot {{v'}_{\rm{p}}}^2}}{{\frac{1}{2} \cdot {m_{\rm{N}}} \cdot {{v'}_{\rm{N}}}^2}} = \frac{{{m_{\rm{p}}}}}{{{m_{\rm{N}}}}} \cdot {\left( {\frac{{{m_n} + {m_{\rm{N}}}}}{{{m_n} + {m_{\rm{p}}}}}} \right)^2}\]Einsetzen der gegebenen Werte  liefert\[\frac{{5,7}}{{1,2}} = \frac{{1{\rm{u}}}}{{14{\rm{u}}}} \cdot {\left( {\frac{{{m_n} + 14{\rm{u}}}}{{{m_n} + 1{\rm{u}}}}} \right)^2} \Rightarrow \frac{{{m_n} + 14{\rm{u}}}}{{{m_n} + 1{\rm{u}}}} = \sqrt {66,5}  = 8,2 \Rightarrow {m_n} = 0,8{\rm{u}}\]Man sieht also, dass CHADWICK die Größenordnung der Neutronenmasse mit Hilfe der kinetischen Energie der Rückstoßkerne richtig bestimmen konnte. Eine genauere Massenbestimmung ist über den sogenannten Kernphotoeffekt (Link am Ende dieses Artikels) möglich.