Aufbau des Streuversuchs
RUTHERFORDs Mitarbeiter Hans GEIGER (1882 - 1945) und Ernest MARSDEN (1889 - 1970) führten den Versuch durch, der heute unter dem Namen Rutherfordscher Streuversuch bekannt ist: Sie beschossen wie in Abb. 1 dargestellt eine dünne Metallfolie, z.B. eine Goldfolie, mit \(\alpha\)-Teilchen. Alphateilchen sind zweifach positiv geladene Heliumkerne, also Heliumkerne ganz ohne Hüllenelektronen und entstehen beim Zerfall von radioaktivem Radium.
Um zu beobachten, wie sich die \(\alpha\)-Teilchen im Versuch verhalten, ist um die Goldfolie herum ein Leuchtschirm (bzw. ein Szintillationsschirm) positioniert. Trifft ein \(\alpha\)-Teilchen auf den Schirm, so entsteht ein Lichtblitz, der detektiert werden kann.
Erwartete Beobachtungen
Die Vorstellungen in der damaligen Zeit basierten auf dem Atommodell von Thomson (Rosinenkuchenmodell). In diesem Modell ist die Masse und die positive Ladung gleichmäßig über das gesamte Ausmaß des Atoms verteilt, während die Elektronen wie Rosinen im Kuchen an bestimmten Stellen liegen. Durch diese großflächige Verteilung der Masse und der positiven Ladung ging man davon aus, dass ein solches Atom ein Alphateilchen kaum beeinflussen kann und Alphateilchen ein Atom praktisch unabgelenkt passieren. Entsprechend erwarteten die beiden Physiker, dass die \(\alpha\)-Teilchen von der dünnen Metallschicht kaum beeinflusst werden und die Metallschicht einfach passieren ohne abgelenkt zu werden.
Tatsächliche Beobachtungen
Zwar zeigten sich im Experiment (siehe Abb. 2) die meisten Lichtblitze auf dem Schirm in gerader Richtung hinter der Goldfolie, aber entgegen den Erwartungen wurden auch zahlreiche Lichtblitze etwas links und rechts davon beobachtet. Die \(\alpha\)-Teilchen wurden also von der Goldfolie abgelenkt.
Besonders überraschend war jedoch, dass gelegentlich auch auf dem Teil des Schirms Lichtblitze zu sehen waren, der auf der Seite des Präparates platziert war. Einige wenige der \(\alpha\)-Teilchen wurden also um über \(90^{\circ}\) abgelenkt und somit zurückgestreut.
Schlussfolgerungen für das RUTHERFORDsche Atommodell
Die Beobachtungen im Experiment konnten nicht mit dem Atommodell von Thomson erklärt werden und motivierten Rutherford daher zur Entwicklung eines neuen Atommodells, dass die Ergebnisse des Versuchs erklären kann. Dabei sind die folgenden Punkte die zentralen Aspekte:
- Da nur sehr wenige \(\alpha\)-Teilchen sehr stark abgelenkt bzw. zurückgestreut werden, muss fast die gesamte Masse des Atoms in einem sehr kleinen, positiv geladenen Atomkern vereint sein. Dann treffen nur wenige \(\alpha\)-Teilchen fast direkt mittig auf einen Atomkern der Goldfolie und werden zurückgestreut.
- Da viele \(\alpha\)-Teilchen die Goldfolie fast unabgelenkt passieren, ist die Atomhülle, in der sich die Elektronen befinden, die die positive Ladung des Kerns nach außen abschirmen, sehr viel größer als der Atomkern und besitzt nahezu keine Masse. Wegen der hohen kinetischen Energie der \(\alpha\)-Teilchen und der im Vergleich zu den Elektronen viel größeren Masse führt der Durchgang durch die Atomhülle somit zu keiner nennenswerten Ablenkung.
- Die leicht abgelenkten \(\alpha\)-Teilchen passieren beim Durchgang durch die Goldfolie einen positiven Atomkern so nahe, dass sie durch die elektrische Abstoßung leicht abgelenkt werden.
Theoretische Überlegungen zu den Größenverhältnissen
Unter Verwendung der nach ihm benannten Streuformel leitete RUTHERFORD aus den Experimenten Werte für die Größe und Ladung der positiven Ladungsverteilung von Gold und anderen Elementen ab. Dabei kam er zu dem Schluss, dass die enorme elektrische Feldstärke, die für die gemessene starke Ablenkung von Alpha-Teilchen erforderlich ist, nur unter der Annahme erklärbar ist, dass die positive Ladung des Atoms vollständig in einem kompakten Atomkern konzentriert ist, dessen Radius um ca. einen Faktor 3000 kleiner ist als der Atomradius.
Zentrale Aspekte des RUTHERFORDschen Atommodells
- Nahezu die gesamte Masse des Atoms ist in einem sehr kleinen, positiv geladenen Atomkern vereint.
- Die Atomhülle ist sehr viel größer und besteht zum größten Teil aus "Nichts".
- Die Elektronen in der Atomhülle schirmen die positive Ladung des Kerns nach außen ab.
Grenzen des Atommodells von RUTHERFORD
RUTHERFORD erklärte die Grundstruktur des Atoms, die seitdem nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt wurde. Er schrieb aber bereits in seiner Veröffentlichung: "Die Frage der Stabilität des Atoms muss genauer untersucht werden, sie hängt offensichtlich vom inneren Aufbau des Atoms und der Bewegung der das Atom aufbauenden Ladungen zusammen."
RUTHERFORDs Atommodell erklärt nicht, wie sich die Elektronen in der Atomhülle verhalten und warum die Elektronen z.B. nicht einfach vom positiven Atomkern angezogen werden und somit in den Kern stürzen.
Die verbreitete Vorstellung, dass Elektronen um den Kern kreisen, scheitert an grundlegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten: Damit die Elektronen um den Kern kreisen würden, müssten die Elektronen eine zum Kern hin gerichtete elektrostatische Kraft erfahren. Die Kreisbewegung der Elektronen wäre also eine beschleunigte Bewegung (permanente Änderung der Bewegungsrichtung). Beschleunigte Ladungen strahlen aber nach MAXWELL elektromagnetische Energie ab. Die Elektronen würden also wie in Abb. 4 gezeigt langsam in den Kern stürzen. Gleiches passiert z.B. mit einem Satellit, der zu nahe an der Erdatmosphäre kreisen - der Satellit stürzt ab.
In den Kern stürzende Hüllenelektronen bedeuten aber die Instabilität eines Atoms. Das steht im Widerspruch zu unserer alltäglichen Erfahrung stabiler Atome.
Weiter ermöglicht das Modell keine Erklärung für das Auftreten von diskreten Spektrallinien diverser Gase.