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Grundwissen

Ionisierende Strahlung in Chemie und Biologie

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Ionisierende Strahlung wird zur Schädlingssterilisation und zur Reduzierung der Keimfähigkeit genutzt.
  • Radioaktive Substanzen werden zum Tracing eingesetzt und geben Aufschluss über den Ablauf chemischer und biologischer Prozesse.
  • Ionisierende Strahlung kann die Farbe von Edelsteinen beeinflussen.

Die folgenden Beispiele zeigen die Anwendung der Kernphysik in den Bereichen Biologie und Chemie.

Bestrahlung von Lebensmitteln

CC0 Wounds_and_Cracks
Abb. 1 Kartoffeln werden durch die Bestrahlung mit ionisiernder Strahlung haltbarer.

Der Einsatz von ionisierenden Strahlen, Gamma-, Röntgen- oder Elektronenstrahlen stellt eine von mehreren Möglichkeiten dar, ein Lebensmittel vor dem Verderb zu schützen und den einwandfreien hygienischen Zustand eines Produktes zu gewährleisten. Für die Bestrahlung von Lebensmitteln werden bislang Gamma- und Elektronenstrahlen eingesetzt. Da es andere klassische Konservierungsverfahren gibt, wird die Notwendigkeit der Bestrahlung kontrovers diskutiert.

Die gesundheitliche Unbedenklichkeit sachgerecht bestrahlter Lebensmittel wurde in umfangreichen Tierversuchen geprüft. Von der FAO und WHO wird empfohlen als mittlere Gesamtdosis für die Lebensmittelbestrahlung 10 Kilogray (kGy) nicht zu überschreiten. Mit dieser Dosis wird vor allem die Zahl der Mikroorganismen verringert, die den Verderb bewirken und/oder Krankheiten auslösen und damit die hygienische Qualität verbessert. Nach Anwendung der in der Praxis in Frage kommenden Bestrahlungsdosen treten in Lebensmitteln nur geringe chemische Veränderungen auf. Bestehende chemische Verbindungen werden gespalten und es können wie auch bei anderen Konservierungsverfahren neue Verbindungen entstehen, die nach derzeitigem Kenntnisstand aber keine gesundheitsschädigenden Effekte erwarten lassen. Einem Lebensmittel ist äußerlich nicht anzusehen, ob es bestrahlt wurde.

Die Lebensmittelbestrahlung kann weder die klassischen Methoden zur Lebensmittelhaltbarmachung, noch darf und kann sie mangelnde Hygiene ersetzen. Die Bestrahlung ist in vielen Ländern für unterschiedliche, aber genau definierte Produkte bereits zugelassen. Innerhalb der Europäischen Union (EU) wird sie vor allem in Frankreich, den Niederlanden und in Belgien eingesetzt. In Deutschland besteht ein Bestrahlungsverbot und ein Verbot für das Inverkehrbringen bestrahlter Lebensmittel. Allerdings wurde durch EU-Richtlinie das Inverkehrbringen von mit ionisierenden Strahlen behandelten Gewürzkräutern erlaubt.

Reduzierung der Keimfähigkeit
CC0 suraj
Abb. 2 Getreide wird mit ionisierender Strahlung behandelt, um die Keimung während der Lagerung zu verringern.

Durch die Bestrahlung hauptsächlich mit Gamma-Strahlen werden große Moleküle wie die DNA mit einer sehr hoher Wahrscheinlichkeit getroffen. Es genügt die Zerstörung einiger dieser Moleküle, damit die Zellen ihr Wachstum einstellen. Diese Tatsache macht man sich zur Verhinderung der Keimung von Gemüse oder von Kartoffeln zunutze. Auch die für das Streckungswachstum von Champignons verantwortlichen Zellen sind sehr empfindlich. Die Hüte bleiben nach der Bestrahlung geschlossen. Rohstoffeigene Enzyme sind aber als Verderbnisfaktoren weiter wirksam - der Champignon sieht frisch aus, auch wenn er eigentlich schon älter ist.

Abtöten von Insekten und vegetativen Keimen

Höhere Dosiswerte können die Abtötung von Insekten in Getreide, von Motten in Müsli und von vegetativen Keimen in Fleisch (Salmonellen) und Gewürzen bewirken. Dies entspricht in etwa der Wirkung der klassischen Hitzepasteurisation. Sporen können nur mit sehr hohen Dosiswerten abgetötet werden, die in keinem Land erlaubt sind. Eine echte Sterilisation von Lebensmitteln ist deshalb mit dieser Methode nicht möglich.

Sehr detaillierte Information zur Bestrahlung von Lebensmitteln findet man auf der Internetseite von Bernd Leitenberger.

Schädlingssterilisation

Public domain / By Scott Bauer, U.S. Department of Agriculture, via Wikimedia Commons By Scott Bauer, U.S. Department of Agriculture, via Wikimedia Commons
Abb. 1 In Mexiko, Kalifornien und Chile konnte mit der SIT die Mittelmeerfruchtfliege ausgerottet und in den von ihr befallenen Zitrusfruchtplantagen allein in Chile eine zusätzliche Wertschöpfung im Umfang von 500 Mio. US-$-Dollar/Jahr erzielt werden.

Große Erfolge mit ionisierender Strahlung wurden im Bereich der umweltschonenden Schädlingskontrolle mittels der sog. Sterile-Insekten-Technik (SIT) erzielt. Schädlinge reduzieren derzeit die Weltnahrungsproduktion alljährlich um 25 - 35%. Der starke Einsatz von Insektiziden führt zu Umweltschäden und verursacht hohe Kosten (rd. 10 Mrd. US-$-Dollar/Jahr). Beim SIT-Verfahren werden die Männchen eines Schadinsektes mit Strahlen sterilisiert und im Zielgebiet mittels Flugzeugen freigesetzt. Nach Begattung von freilebenden Schädlingsweibchen bleiben diese ohne Nachkommen. Mit wiederholter Freilassung steriler Männchen wird die Population der Schadinsekten reduziert und fällt über diesen Weg der "Geburtenkontrolle" zusammen. Dieses Verfahren ist im Vergleich zu Insektiziden sehr umweltschonend. Da man gezielt vorgeht, sind andere Insekten nicht betroffen und bleiben der Nahrungskette und der Artenvielfalt erhalten.


Erste Erfolge durch SIT sind im Kampf gegen die Tsetse-Fliege im tropischen Gürtel Afrikas zu verzeichnen. Auf dem Kontinent sind bis zu 60 Mio. Menschen gefährdet, über 300.000 bereits infiziert, jedes Jahr werden 30.000 Neuinfektionen verzeichnet. Derzeit gibt es noch keine Medikamente oder Impfstoffe gegen die Schlafkrankheit, an der infizierte Menschen erkranken. Große volkswirtschaftliche Verluste verursacht die Tsetse-Fliege im tropischen Afrika auch bei der Rinderhaltung, denn in den betroffenen Gebieten fehlt Milch für die Ernährung der Kinder und es fehlen Rinder als Zugtiere. Mit einem IAEO-Projekt ist es gelungen, die Tsetse-Fliege auf Sansibar auszurotten. Dort ist mittlerweile eine ausreichende Rinderhaltung zur Milch- und Fleischproduktion möglich.
Die Erfolge im Kampf gegen die Tse-tse-Fliege haben die Hoffnung genährt, das SIT-Verfahren auch auf die Anophelesmücke, Verursacher der Malariakrankheit, zu übertragen. Durch Malaria sterben jährlich 2 Mio. Menschen, die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Die Neuinfektionen werden auf bis zu 500 Mio. Menschen/Jahr geschätzt. Im Kampf gegen die Malaria steht man mit SIT jedoch erst am Anfang. Alle bisherigen Versuche sind fehlgeschlagen.

Pharmazie - Strahlensterilisation

CC0 nosheep via pixabay
Abb. 1 Medizinische Produkte werden häufig mit Gammastrahlung sterilisiert.

Die Sterilisierung, d.h. Beseitigung pathogener und apathogenen Mikroorganismen erfolgt in der Regel durch Erhitzung mit verschiedenen Verfahren.
Für hitzeempfindliche Materialien wird aber auch die Sterilisation durch Strahlung angewandt. Sie ist aufgrund des AMG (Arzneimittelgesetz) eigentlich verboten, aber in einigen Fällen über besondere Rechtsverordnungen (AMRadV) erlaubt. Dazu ist eine besondere Zulassung erforderlich, wobei die Zulassungsbedingungen in Deutschland strenger sind als in anderen Ländern der EU oder in den USA.     

Als Strahlungsquelle verwendet man hauptsächlich Gammastrahlung, aber verstärkt auch Elektronenstrahlung aus Beschleunigeranlagen.
Die Vorteile der Strahlensterilisation aber auch die heutzutage üblichen Sicherheits- und Genehmigungsverfahren verdeutlicht folgende Auszug eines Internetauftritts einer auf Sterilisation durch Gammastrahlung spezialisierten Firma:

Sterilisation mit Gammastrahlung

Die World Health Organization (WHO) empfiehlt Sterilisation durch Gammastrahlen für Arzneimittel und Medizinprodukte ausdrücklich. Wir führen unsere Arbeiten nach den Standards EN ISO 9001, EN ISO 46001, EN 552, ISO 11137, AMG und MPG durch. Unsere Anlage ist bei der amerikanischen FDA registriert und wird durch die deutschen Gesundheitsbehörden überwacht. Wir besitzen eine Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG für die Bestrahlung von Arzneimitteln. Alle produktrelevanten Prozesse der Anlage sind validiert, um den Anforderungen der FDA an "Notified Bodies" zu genügen. Auch die vorgeschriebenen "Quarterly Dose Audits" können wir für Sie durchführen.

Sterilisation durch Gammastrahlen erlaubt produktschonende Arbeitsabläufe:

  • Sterilisierung des Produkts in der Endverpackung (keine Kontaminierung durch nachfolgende Verpackungsschritte)
  • Keine Temperaturerhöhung des Produkts (temperatursensible oder tiefgefrorene Produkte können sterilisiert werden)
  • Durchlaufzeiten von ca. drei Tagen von An- bis Auslieferung
  • Sofortige Verfügbarkeit nach der Sterilisation, keine Quarantänezeit, keine Kapitalbindung
  • Parametrische Freigabe des Produkts anhand unseres Dosiszertifikats anstelle von Sterilitätsprüfungen spart Zeit und Kapital

Strahlungsinduzierte Mutation

CC0 anelka via pixabay
Abb. 1 Weltweit existieren mehr als 3000 verschiedene Tomatensorten.

Seit der Mensch Pflanzen nutzt, versucht er diese durch Züchtung und Umsiedlung in seinem Sinne zu verbessern. Dabei bedeutet Züchtung das Kreuzen verschiedener Pflanzen und deren zufällig entstandener Mutationen. Nur die ertragreichsten und am besten verkaufbaren Sorten werden weiter gepflegt, die natürlich vorkommenden Urpflanzen werden wegen ihres geringfügigen Ertrages und auch wegen ihrer Schädlingsanfälligkeit praktisch nicht mehr angebaut.

Um die Mutation von Pflanzen für den Nahrungs- und Genussmittelmarkt zu beschleunigen, wurde und wird das Pflanzenmaterial (Samen, Knospen etc.) mit geeigneten Dosen von Gamma-, Röntgenstrahlen oder Neutronen bestrahlt, wodurch es zu einer Veränderung der DNS (Erbsubstanz) kommt. Die entstandenen Mutanten werden nach den Kriterien "Schädlingsresistenz" und "Ertrag" beobachtet und weitergezüchtet.     
Auf diese Weise wurden in der Vergangenheit besonders ertragreiche und schädlingsresistente Getreide-, Tomaten-, Kartoffel-, Obst- und Sojabohnensorten hergestellt. Man erhofft sich nicht nur einen höheren Ertrag, sondern auch eine Reduzierung der eingesetzten Pestizide. Zur Kontrolle von Krankheiten, Schädlingen und Unkräutern werden weltweit heute für 34 Mrd. US-$-Dollar/Jahr Pestizide eingesetzt, die eine erhebliche Umweltbelastung bedeuten.

Diese durch Bestrahlen beschleunigte Mutation von Kulturpflanzen nach dem Prinzip von Trial and Error und einer Selektion, die sich nur an den Wünschen der Besteller ausrichtete, wurde seit Jahren in großem Maße fast ohne öffentliche Kritik betrieben. Sie führte zu den Pflanzen, die heute angebaut werden. Die moderne Gentechnik versucht mit gezielteren und damit kontrollierbareren Verfahren eine Veränderung der Gene zu erreichen. Die Diskussion über Genmanipulation an Lebensmitteln, die bereits seit vielen Jahren fast unkontrolliert getrieben wurde, wurde aber erst dadurch entfacht.

Tracermethoden

Als Tracer (to trace: einer Spur folgen) bezeichnet man Substanzen, die man beimischt, um anschließend die Verteilung der zu untersuchenden Verbindung zu analysieren. In der biologischen und chemischen Forschung werden so genannte Leitisotope verwendet. Bei den Isotopen kann es sich um stabile Teilchen (wie z. B. Deuterium, 13C, 15N oder 17O) oder um Radioisotope (wie z. B. Tritium, 14C oder 18F) handeln.

Futtermittelerforschung
Untersuchung der Wirkung verschiedener Futtermittel auf den Stoffwechsel von Wiederkäuern. Dabei werden die verschiedenen Futtermittel mit radioaktiven Tracern in geringen Dosen versehen und ihre Verweildauer im Verdauungstrakt beobachtet und an Hand dieser Daten ein entsprechendes Simulationsprogramm erarbeitet.

Düngemittelverfolgung
Düngung von landwirtschaftlichen Nutzflächen - Durch die Markierung von Düngemitteln mit Stickstoff-15 oder Phosphor-32 kann deren Aufnahme im Boden genau verfolgt werden. Auf diese Weise können optimale Bedingungen für eine ertragreiche und zugleich umweltschonende Bodenbearbeitung eingestellt werden.P

Photosynthese
Der Nobelpreisgewinner Melvin Calvin untersuchte mittels des radioaktiven Tracers 14C die Photosynthese und konnte ihren genauen Ablauf erklären.

Polymere - Vernetzung

Die Vernetzung von Polymeren bei thermoplastischen und elastomeren Werkstoffen verbessert die Eigenschaften des Ausgangsmaterials.
Dabei werden Moleküle durch Energiezufuhr während des ausgelösten chemischen Prozesses miteinander verbunden. Diese Vernetzung führt zu Änderungen der Eigenschaften im entsprechenden Ausgangsmaterial.
Hochenergetische Elektronenbeschleuniger ermöglichen, dass auch große Komponenten in ihrer fertigen Form vernetzt werden können. Dabei wird keine Prozesswärme frei und es werden in der Regel keine weiteren Zusatzstoffe benötigt. Dabei verbessern sich die mechanischen, chemischen und thermischen Eigenschaften.

Farbänderung von Substanzen

Bestrahlt man Edelsteine, Gläser oder pigmentierte Kunststoffe mit ionisierender Strahlung (\(\alpha\), \(\beta\)- oder \(\gamma\)-Strahlung), so verändern sie ihre Farbe.
Anfang der 70er Jahre machte man die Entdeckung, dass farbloser Topas durch Bestrahlung und anschließendem Erhitzen intensiv blaue Farbtöne hervorbringen konnte. Inzwischen werden pro Jahr mehrere Tonnen Topas bestrahlt und verarbeitet.
Die Bestrahlungsarten, denen Edelsteine ausgesetzt werden, reichen von energiereicher elektromagnetischer Strahlung (Gamma- oder Röntgen-Strahlung) bis hin zur Bombardierung mit Teilchenstrahlung (Elektronen, Neutronen, Protonen).
Der Umgang mit radioaktiven Edelsteinen (Lagerung, Be- und Verarbeitung) ist genehmigungspflichtig, wenn die spezifische Aktivität des Steins \(0{,}5\,\rm{\frac{Bq}{Gramm}\) überschreitet.

Mineral Naturfarbe Bestrahlungsfarbe Bestrahlungsart Verbreitung
Beryll

blaßgelb,
blaßrosa

goldgelb, grün
dunkelblau* (R)
  selten
Chrysoberyll blaßgrün dunkelbraun (R)   selten
Diamant gelblich
bräunlich
blau, braun, gelb, rot,grün(R)
schwarz (R)
Gamma, Neutronen, Protonen mäßig oft
Quarz farblos rauchbraun, schwarz Gamma häufig
Rubin rot rot-orange*(R)   selten
Saphir farblos, rosa
blaßgrün
gelb*, orange*
grün
  selten
Spodumen rosa gelb*, grün* Gamma, Röntgen selten
Topas farblos blau (R), braun (R), gelb, orange, grün Beta, Gamma, Neutronen häufig
Turmalin rosa
blaßgelb
blaßgrün
rot
gelbbraun
grün
Gamma mäßig oft
Zirkon farblos blau, braun   selten

*Farbe instabil (R) Radioaktivität möglich

Quelle: https://www.epigem.de/themen/radioaktive-edelsteine.html